Rezension: The Great Faults – Trust Me

Zwei Jahre nach ihrem Debüt Coming Back Soon legen The Great Faults nun mit Trust Me nach. An der Besetzung hat sich nichts geändert, nach wie vor werden die rauen Indiebluesrock-Songs vom Duo Martin Arlo Kroll und Johannes Woodrow Wagner geschrieben und gespielt. Die entsprechend reduzierte Instrumentierung mit Gitarre und Schlagzeug wurde jedoch punktuell um Orgel und Bass erweitert. Über dem wieder starken Zusammenspiel singt, klagt und schmettert Krolls variable Stimme.

Mit dem Gesang steht und fällt für viele Hörer eine Band. Manchmal ist mir Krolls anspruchsvoller Vortrag zu leidend, manchmal ein wenig zu gepresst; in den sanften oder härteren Momenten funktioniert das Gesamtpaket für mich am besten. Da ich in der Musikrichtung der Great Faults aber nicht zuhause bin, beanspruche ich in diesem Punkt keinen Funken Objektivität. Auch das Stilmittel der Verzerrung ist nicht für mich erfunden worden. Es wird zu meinem Glück aber nicht überstrapaziert.

Klar ist, dass das hier kein musikalisches Fastfood ist; die oft etwas sperrigen Songs wollen öfter gehört werden. Nicht falsch verstehen: Durch den dröhnenden Blues brechen immer wieder schöne Indiemelodien, die sich teils hartnäckig im Hirn festsetzen. Die Gitarre leistet hier ganze Arbeit, mit Licks und Riffs zum an-die-Wand-hängen und so. Freude bereitet auch Wagners einnehmendes Spiel an den Drums. Und sowieso immer von mir gemocht: das Überschreiten von Genregrenzen, großes Planschen im Rockpool sozusagen. Eintönigkeit ist jedenfalls keine Schwäche des Duos.

Anspieltipps? Hervorheben möchte ich SVO SO als schönste Kollision der melancholischen und der kraftvollen Seite der Band sowie I promise als ruhigste Nummer mit großer Dringlichkeit.

Das, was die zwei Musikanten da machen, machen sie gut, ziemlich gut: Trotz höherem Produktionsaufwand immer noch leicht roher, teils dreckiger und oft verletzlicher Indierock, meist im unteren Tempobereich, mit hohem Bluesanteil und ein paar Extras. Wer darauf steht, weiß nun Bescheid. Die anderen können auch mal ein Ohr riskieren. Vertraut mir.

Zuletzt das Wichtigste, abseits der Musik: Wer vor einem Yoda-Poster probt, kann kein schlechter Mensch sein! Möge die Macht … ihr wisst schon, ich weiß.

Trust Me erscheint am 5. Juni 2015 bei Supermusic (Alive).

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Straßenmusik

Rezension: The Slapstickers – Addicted To The Road (Bonn Boom Music)

Kurz vor ihrem 20. Geburtstag dieses Jahr veröffentlichten The Slapstickers Ende 2014 ihr achtes Album „Addicted To The Road“. Die Third Wave-Veteranen bleiben sich darauf treu und spielen handwerklich anspruchsvollen Ska.

Änderungen sind eher im Detail zu finden, machen aber durchaus einen Unterschied. Im Lineup gab es schon häufiger Wechsel; dieses mal aber vielleicht stärker hörbar: Die Bläsersektion wurde leicht reduziert und setzt sich nun „nur“ noch aus Saxofon, Trompete und Posaune zusammen. Dafür gibt es mit Andy Booth Verstärkung an der Gitarrenfront. Dieser bringt auch zusätzliche Vocals und vor allem die Feder mit, der ein Großteil der neuen Songs entspringt.

Der typische Slapstickers-Sound besteht aus breitwandigen, treibenden Bläsersätzen, fett und flott groovenden Strophen sowie tanzbeinanimierenden Melodien im Refrain. Besonders live ergibt dies im besten Fall einen berauschenden Mix, dem sich kaum ein Körperteil entziehen kann. Auf „Addicted To The Road“ wurde das Rezept in „Won’t Bring Me Down“ am genauesten und sehr erfolgreich befolgt.

Von diesem Muster entfernt sich die neunköpfige Band jedoch zusehends, wenn auch in kleinen Schritten. Auf dem aktuellen Album wird das Tempo häufiger etwas auf mittlere Geschwindigkeit gedrosselt, Up-Tempo-Nummern haben teils einen leicht schwermütigen Einschlag in der Melodie. Und das trotz der insgesamt angehobenen Mainstreamkompatibilität. Mehr denn je lässt sich die Slapstickers-Interpretation der bläserlastigen Offbeatmusik als Power-Skapoprock bezeichnen – wenn man so eine umständliche Etikette bemühen will (wofür ich immer zu haben bin, ja). Eigentlich unnötig zu erwähnen: Skapuristen finden bei den Slapstickers nicht ihr Glück. Vielmehr wäre die Band ein Kandidat dafür, dem hierzulande nicht über den Szeneradius hinausreichenden Musikgenre mal zu einem Radiohit zu verhelfen.

Was insbesondere die Albenproduktion der Slapz neben den bewährten Zutaten regelmäßig auszeichnet, ist das Spiel mit neuen Elementen, die punktuell hinzugefügt von der Liebe zur Musik in ihrer Gesamtheit zeugen. Gastmusiker etwa gehören seit langem zum guten Ton; diesen trifft auf dem Song „High Time Sunshine“ die weibliche Stimme stilsicher. Hier mischt zudem noch eine Mundharmonika mit. Mit einem hübschen kleinen musikalischen Zitat – ansonsten eine der Livestärken der Band – wartet „Lost My Soul“ auf, darüber hinaus überzeugt der Song in erster Linie mit seiner bärenstarken Bridge. Auch im bereits erwähnten Tanzkracher „Won’t Bring Me Down“ gibt es unerwartete Schmankerl in Form von coolen Chor-Shouts.

Abwechslung ist also innerhalb der stilistischen Grenzen gegeben. Vor allem aber sitzt das Korsett der bekannten Songstrukturen zunehmend lockerer, was unterschiedlich bewertet werden kann. Die unbeschwerten und auf die Tanzfläche zwingenden Tracks treten weiter in den Hintergrund, machen Platz für vertracktere Konstruktionen, von Melancholie angehauchte Melodien mit Indierockappeal, Classicrockgitarrensolos und andere Elemente. Einiges davon etwa in „Part Of My Own World“ zu finden, in dem aus dem Kontrast von leicht sperriger Strophe und wehmütigem Refrain Spannung entsteht. Die zweite Stimme in letzterem verstärkt die Distanz zu altbekanntem Material.

Das titelgebende Thema zieht sich textlich durch einige Stücke, dazu gesellt sich Gesellschaftskritik, gerne in besonders fröhlich schwingende Musik verhüllt. 20 Jahre Bandgeschichte, die vor allem auch auf den Straßen zwischen den vielen Auftrittsorten geschrieben wurde, hinterlassen so manche Spuren. Die guten alten Liebeslyrics haben die Slapstickers zwar nicht verlernt – bis diese erklingen, ist aber reichlich Zeit für problemorientiertere Zeilen. Ernste Themen im Offbeat, das war schon immer eine gelungene, weil irgendwie gegensätzliche Kombination, zumindest in meinen Ohren.

Was bleibt? Der potentielle Radiohit ist wahrscheinlich (noch) nicht dabei, ihr wahres und viel bedeutenderes Ziel haben The Slapstickers aber erneut erreicht: Ein musikalisch starkes Album mit viel Liebe zum Detail aufzunehmen. Je nach Geschmack reiht sich das in der persönlichen Bestenliste ihrer Diskografie eher hinten oder vorne ein, abhängig auch davon, wie sehr man am bewährten Erfolgsrezept hängt. Ich vermisse das Ungestüme früherer Tage, aber ich hinke beim Erwachsenwerden ja auch ein wenig hinterher.

Wer sich fragt, ob die neunköpfige Band mal was richtig Neues wagt, sollte sie in diesem Jubiläumsjahr im Auge behalten. Mit der Big Band The Swingcredibles wird an einer EP gearbeitet, die die größten Hits im neuen Gewand präsentieren soll.

Anspieltipps: Dancing To Commercials, Won’t Bring Me Down

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Kritik: Star Wars Rebels

Heute Nachmittag hatte ich im Rahmen der Rebels-Promo-Tour Gelegenheit, den Pilotfilm dieser neuen computeranimierten Star Wars-TV-Serie vor offiziellem Starttermin im Kino zu sehen. Disney hat zumindest hier in Köln im Cinedom ein ganz nettes und inklusive Filmvorführung kostenloses Event auf die Beine gestellt. Schon vor dem Gebäude erwarteten den Besucher lebensgroße Modelle eines Raumschiffes, von Rebels-Protagonisten sowie diverse Droiden und ein roter Teppich, den zahlreiche lebende Sturmtruppen bewachten. Neben diesen waren noch weitere Fans in aufwändigen Kostümierungen zu bestaunen. In der spätsommerlichen Sonne dürften sie sich nach der Kälte des Alls gesehnt haben …

Drinnen gab es vor allem für die lieben Kleinen einige nette Star Wars-Aktivitäten. Der Höhepunkt folgte aber natürlich im großen Kinosaal: Der gut aufgelegte Moderator von Sky interviewte einen langjährigen Star Wars-Fan vom Disney Channel mit Lichtschwert, bevor Mitglieder vom Team Saberproject die gleißenden Klingen auch in wirbelnder und in eine kleine Geschichte eingebettete Choreographie zeigten. Als Intro vor dem aus den ersten zwei Episoden bestehenden Pilotfilm diente noch ein kurzer Making Of-Einspieler. Selbst auf den Gängen zwischen den Sitzblöcken saßen Zuschauer; über mangelndes Interesse brauchen sich die Star Wars-Macher scheinbar vorerst keine Sorgen zu machen.

Und wie sieht sie nun aus, die nächste Sternenkriegerzukunft? Rebels ist eine Serie für die Padawane, sprich die kleineren Fans, ganz klar. Optik wie Inhalt sind überwiegend kindgerecht und kommen bei der Zielgruppe auch gut an, wie die Reaktionen des jüngeren Teils der Zuschauer im Kino zeigten. Was glücklicherweise nicht bedeutet, dass nicht auch ältere Rebellen Spaß an der Serie haben können. Das Produktionsteam um Dave Filoni, der auch für die erfolgreiche Vorgängerserie The Clone Wars (die, womöglich aus Lizenzgründen, dem Disneydeal zum Opfer gefallen ist) verantwortlich war, versuchte nach eigener Ausssage die spaßige Atmosphäre des ersten Films von 1977 einzufangen und mit den neuen Protagonisten die Dynamik der damaligen Hauptfiguren Luke, Han und Leia nachzubilden. Diese Bemühungen bemerkt man, so man das Original gut kennt, oft deutlich. Sei es in musikalischen Referenzen, Einstellungen oder in Storyelementen, wie der Tatsache, dass die imperialen Sturmtruppen die erstaunliche Fähigkeit haben, immer und egal aus welcher Distanz danebenzuschießen. Sich über so etwas ernsthaft aufzuregen, ist indes müßig: Star Wars entspringt dem Genre der Space Opera, das traditionell heldenfreundlich ist. Dafür überleben auch die wichtigen Bösewichter die ein oder andere Attacke. Dies ist kein Game of Thrones im Star Wars-Universum – was auch von Anfang an nicht zu erwarten war. Bei Rebels kommen nun noch gelegentliche cartoonhafte Übertreibungen dazu, die man etwa in den ab 2015 kommenden Kino-Episoden kaum finden wird.

Das Schöne ist: Rebels macht tatsächlich, lässt man sich ein wenig darauf ein, Spaß. Der Rhytmus aus Action, Dialogen und stimmungsvollen Bildern ist gut gewählt, Ernsthaftigkeit und Blödeleien sind effektiv ausbalanciert, wobei letztere nicht zu schlicht daherkommen und erstere nicht (zu sehr) mit dem Holzhammer vorgetragen wird. Die Geschichte um eine bunt zusammengewürfelte Crew von Abenteurern, die mit zu den ersten gehören, die sich gegen das galaktische Imperium erheben, ist weder besonders tiefgründig noch originell, nein. Aber sie funktioniert und ist nicht dämlich. Dieser Mix ist meilenweit von den Achtzigerjahren-Zeichentrickserien Droids und Ewoks entfernt, aber das nur am Rande. Auch diese hatten ihren Charme, selbst wenn er womöglich nur durch die rosa getönte Fanbrille erkennbar war (war er nicht).

Optisch hinterlässt Rebels einen überwiegend guten Eindruck, zumindest für eine TV-Serie. Die optische Fulminanz der letzten The Clone Wars-Staffeln wird leider nicht erreicht. Das liegt insbesondere an der Detailarmut der Umgebung, die aber wenigstens storytechnisch gut begründet ist. Schließlich beginnt diese Rebellengeschichte auf dem kargen Hinterwäldlerplaneten Lothal im Outer Rim, mit Ausflügen ins dunkle All und auf schlicht-kalt gehaltene imperiale Schiffe. Die Figurengestaltung ist gefälliger als das recht eigene Design der Vorgängerserie, auch die Animation weiß mit Weichheit zu überzeugen. Am schlechtesten sehen bei Rebels wie bei The Clone Wars menschliche Figuren aus. Insbesondere Haare sind für die Computerkünstler in diesem Kostenrahmen offensichtlich noch eine zu große Herausforderung – hier entsteht ein Plastiklook, an den man sich gewöhnen muss und wahrscheinlich auch kann. (Und der das Zielpublikum mehr oder weniger dezent an die begleitenden Spielfiguren heranführt.) Insbesondere die im Pilotfilm auftretenden Wookiees sehen durch die zu Platten zusammengefassten Fellteile leider recht eigenwillig aus.

Doch das ist Meckern auf erfreulich hohem Niveau. Denn wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: Als Kind wäre ich im Kino wahrscheinlich ähnlich gebannt gewesen wie die vielen begeisterten Minirebellen heute im Kino. Bleiben diese der Serie treu, hätten die Macher ihre Mission erfüllt, eine neue Generation an die Sternensaga heranzuführen. Und wenn ich noch ehrlicher bin, hat es mir ja auch gefallen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich damit unter den ebenso zahlreichen Erwachsenen nicht der Einzige war.

Allerdings: Disney darf nun gerne nachlegen und ein weiteres Format produzieren, das sich durch mehr Originalität und ein etwas älteres Zielpublikum auszeichnet. Die Nachfrage wäre sicherlich da – auch über die kommenden Kinofilme hinaus.

 

Star Wars Rebels läuft ab dem 3. Oktober 2014 auf dem Pay TV-Sender Disney XD. Der Pilotfilm wird am 7. November auch im Free TV-Sender Disney Channel ausgestrahlt.

Preis vs Wert: Cardiac Casper – Related To The Heart

Warum dieses Album?

Am Artwork lag’s eigentlich ja nicht. Das gefällt mir ausgesprochen wenig mit seinen grünen, blauen und lilanen Klecksen. Allerdings ist diese Farbgebung im Rockbereich nicht so alltäglich. Vielleicht ist der Inhalt ja überraschend anders? Von wegen, scheint der kleine Sticker zu sagen, der wie ein Gütesiegel vorne auf dem Booklet klebt: Da prangt einem doch tatsächlich ein „Nu Metal“ entgegen. Und das im Jahr 2011, in dem dieses Album erschien. Vielleicht damit die drei Nasen, die dem Endneunzigerhype noch glühend anhängen, schneller fündig werden, wenn sie verzweifelt nach Nachschub suchen.
Richtig stimmig wird der schicke gelb-schwarze Sticker durch die zwar klein gedruckte und nur halb zum ersten Statement passende, aber dennoch alles überstrahlende Aussage: „Brilliant rock voice meets heavy shouts“. Das erinnert irgendwie ein bisschen an TV-Shopping, wenn einem olle Centartikel von Rudis Resterampe als glücklichmachende Weltprodukte angeschrien werden.
Kurzum, ich nahm einfach allen Mut zusammen und erlöste dieses ja auch ein wenig Mitleid erzeugende Ding von seinem Dasein im 2nd Hand-Sonderangeboteregal.

Was kann Related To The Heart?

Nach einem langweiligen Intro – kein großer Vorwurf hier, Intros sind meistens langweilig – geht es dann langsam los mit der Nu Metal-Kombi aus tiefen Gitarren, über denen die erwähnten Heavy Shouts und kurz darauf auch die Brilliant Rockvoice, also cleaner Gesang, ihr Tänzchen vollführen. Und siehe da, brilliant ist zwar zu hoch gegriffen, aber der klare Gesang ist sehr solide. Die Growls sind zwar okay, lassen die versprochene Heaviness aber ein wenig vermissen. Etwas schwach auf der Brust. Vielleicht auch ein Versäumnis in der Produktion, die für meine Laienohren allgemein schon ordentlich klingt – bis auf die fehlende Extraportion Druck, die dem Nu Metal seine traditionell dicken Hosen anzieht.
Apropos Nu Metal, mit dem verbinde ich ja eigentlich auch deutliche Hip Hop-Einflüsse, vor allem Rap und Gescratche. Beides lässt sich auf Related To The Heart nicht finden, weswegen das Ganze vielleicht eher zum Metalcore/Emocore tendiert. Aber Grenzen verschwimmen bekanntlich und letztlich soll die Genrebezeichnung auch nicht die große Rolle spielen. Nur könnte der Sticker womöglich etwas fehlleiten. Gewagte Strategie, wenn man die Popularität des Metalcores mit der des Nu Metals in den letzten Jahren vergleicht…
Kompositorisch wechseln die deutschen Cardiac Casper den ein oder anderen stimmungsvolleren Song mit gut gepflegter Langeweile ab. Schlecht ist hier nichts, im Hintergrund läuft es sogar ganz gut, weil unaufdringlich poppig. Aber auch nach mehrmaligem Hören will sich kein Stück festsetzen. Schmacht, Schrei, Schmacht, so halt. Tritt nicht Arsch genug, um wirklich Emotionen auszulösen, die ein oder andere Melodie gefällt aber. Etwas interessanter sind die gelegentlichen Electroelemente, die dem Material dann doch einen Hauch Eigenständigkeit verleihen. Geheimtipp dazu ist der reine Electrotrack Radio! Radio!, der gerne umfangreicher hätte ausfallen können.

Das hat’s gekostet:

Mittelschwere 3,99 Euro.

Und das wär’s mir wert:

3,99 Euro sind noch okay, 2,99 Euro wären mir im Nachhinein lieber gewesen. (Immer dran denken: Hier geht es ausschließlich um „blind“ gekaufte Gebrauchtware!)

Rezension: Broilers – Noir

Das genrebezeichnende Oi steckt nicht nur im Namen der Band aus Düsseldorf, diesmal ist es auch im Albumtitel. Unhörbar allerdings, fast wie die musikalische Prägung in den Stücken auf Noir.

Doch von vorn: Noir ist das sechste Studioalbum der Broilers und tritt die Nachfolge ihrer bisher erfolgreichsten Scheibe Santa Muerte von 2011 an. Konsequent hatte sich die Band in den letzten Jahren von den Oi-Punk-Wurzeln weg-, hin zu Ska-, Reggae-, Soul- und Rockabillyelementen bewegt. Unbeschadet blieben die griffig klugen Texte irgendwo zwischen Großstadtgrau und cineastischer Überhöhung. Zu hören war somit eine mitreißende Mischung aus Melodie, Poesie, Lässigkeit und einem guten Schuss Resthärte, getragen nicht zuletzt von Frontmann Sammys markanten Stimme.

Man konnte sich fragen, ob die Broilers auf Santa Muerte ihren Stil gefunden hatten oder ob sie sich weiterentwickeln würden. Nun, Stillstand ist nicht angesagt. Ihr Weg führt sie weiter in Richtung Indie-Pop, Stadion und mehr ruhigen Momenten. Wie zuletzt präsentieren sie dabei eine große Bandbreite. Gelegentlicher Offbeat, breite Gitarren, Punkrock, Bläser, Mitgröhlrefrains, all das gibt es noch. Neben der dicken Portion Pop halt. Vielleicht ist es dieser, der das Album weniger zupackend macht als das Vorangegangene. Viel waberndes Mid-Tempo zwischen Hoffnung und Melancholie. Dadurch perlt es anfangs am Hörer ab, der etwas ratlos zurückbleibt.

Um es ganz klar zu sagen: Ich habe mir einige Zeit mit dieser Rezension gelassen, um das Album wirklich wirken zu lassen. Es ist absolut hörenswert, offenbart seine Stärken tatsächlich zum Teil erst allmählich. Ich sehe es wie einen glänzend hübschen, neuen Zug an mir vorbeigleiten, winke ihm etwas wehmütig hinterher und steige dann in die ältere Santa Muerte-Dampflok.

Für mich persönlich hatten die Broilers auf dem Vorgängeralbum alles richtig gemacht, ihre Stärken und meine Vorlieben perfekt ausbalanciert. Das passte wie die Heilige zum Tod und klang auch so. Ich verliebte mich in jene 14 Songs von wilder Schönheit, die eine derart schwülstige Beschreibung keinesfalls verdient haben.

Mit Noir ziehen sie nun weiter und werden andere Herzen erobern. Ich bleibe ihnen zwar treu, sehne mich aber im Stillen zu diesem einen Album zurück, damals, als alles perfekt war.

Rezension: Jaya The Cat – O’Farrell

Backward

Gehen Jaya the Cat jetzt doch noch richtig durch die Decke? Da treten sie in Köln auf einmal nicht mehr wie gewohnt im überschaubaren Underground auf, sondern sind um die Ecke in der deutlich größeren Live Music Hall gebucht. Und dann wird noch eine neue Scheibe veröffentlicht, die aber gar nichts Neues, sondern das bisher unveröffentlichte „inoffizielle erste“ Album der Band beherbergt. Nachfrage ist also da.

Von einem Raketenstart kann man bei Jaya allerdings nicht sprechen – stattdessen beweist die Punk-Reggae-Band, dass ausdauerndes Spielen auf kleineren Bühnen und dazu das gelegentliche Veröffentlichen von Alben sich auszahlen kann. Das nun vom Label Ring of Fire vorgelegte Material wurde schon 1999 aufgenommen. Zwei Jahre später erblickte der offizielle Erstling Basement Style das Licht der Musikwelt. Weitere zwölf Jahre darauf scheinen Jaya The Cat also einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht zu haben – lauschen wir dagegen kurz den Klängen der Vergangenheit, die auf O’Farrell präsentiert werden.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Jungs um Sänger und Gitarrist Geoff Lagadec konnten auch 1999 schon gute Musik schreiben, spielen und aufnehmen. (Damals allerdings noch in anderer Besetzung und statt in Amsterdam in San Francisco, wo Geoff wohl in der namensgebenden O’Farrell-Straße wohnte.) Alle 14 Songs sind unverkennbar Jaya, egal ob selbstgeschrieben oder gecovert (super: Misunderstood). Ihre geschmacksgebenden Zutaten waren auch damals Punkrock, Offbeat, Melodiösität und Geoffs kantige Stimme. Auf O’Farrell waren sie noch zum Teil im flotten Skabeat unterwegs, was ihnen heutzutage mal wieder gut stände. Auch wenn das für manche Ohren völlig absurd klingt: die Ska-Punk-Nummern kommen so frisch daher, als wäre diese Spielart nicht schon von tausendundeiner Juze-Bands an die Wand genudelt worden. Den lässigen Stil können Jaya halt sowohl schnell wie laid back.

Textlich muss man sich ebensowenig umstellen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass einige Songs auf dem inoffiziellen Debut danach regulär veröffentlicht wurden, beispielsweise der Mitgröhlkracher Forward. Die Versionen auf O’Farrell unterscheiden sich nur im Detail und sind erwartungsgemäß eher die zweite Wahl – was sie aber sicher nicht schlecht dastehen lässt. Man sollte diese Dopplung nur einkalkulieren, bevor man als Fan dann trotzdem zum Ergebnis kommt, dass man auch dieses Album besitzen will. Neulinge greifen bevorzugt zum tatsächlichen Debut.

Anspieltipp: Millennium, das einen im Titel an erfolgreich vergessene Zeiten erinnert und im Song mit diesen versöhnt.

This one’s for you, Tony

Rezension: The Songs of Tony Sly: A Tribute

Im Juli letzten Jahres ist Tony Sly im Alter von 41 Jahren überraschend und vor allem viel zu früh gestorben. Zurück blieben seine Familie, seine Punkrock-Band No Use For A Name sowie zahllose Freunde und Fans, deren Leben der Gitarrist, Sänger und Songwriter geprägt hat. Darunter sind seine Labelkollegen von Fat Wreck Chords, dessen Chef Fat Mike nun dieses Tribute-Album zusammengestellt hat.

Tonys Werk bietet dafür eine große Auswahl; neben den Alben mit seiner Band nahm er noch zwei Solo- und die beiden Acoustic-Alben mit seinem Freund Joey Cape von Lagwagon auf. So ist es eine prall gefüllte Compilation geworden: 26 Songs von Bands, die NUFAN beeinflusst haben (Bad Religion, NOFX), die sich gemeinsam mit ihnen vor allem auf Fat Wreck oder Epitaph nach oben spielten (Lagwagon, Pennywise) oder die von NUFAN beeinflusst wurden (Yellowcard, Simple Plan). Weitere große Namen sind etwa Alkaline Trio, Mad Caddies, Gaslight Anthem oder Rise Against.

Sie alle interpretieren Tonys Songs auf ihre Weise, und es kann keinen Zweifel geben, dass sie sich dem Vermächtnis mit echtem Herzblut widmen. Intensive, berührende Momente sind hier nicht die Ausnahme, sondern nahezu Dauerzustand. Sicher trägt das noch relativ frische Empfinden vom Verlust Tonys dazu bei. Melancholie und Trauer sind spürbar, vor allem in vielen ruhigen Stücken, überschatten aber nicht den positiven Grundton.

Musikalisch ist The Songs of Tony Sly: A Tribute sehr abwechslungsreich geworden. Bad Religion spielen ihren unverwüstlichen Punkrock, Old Man Markley sorgen für einen Schuss Bluegrass, die Mad Caddies überzeugen mit Rocksteady und Frank Turner singt wunderschön reduziert zur Akustikgitarre. So unterschiedlich die Interpretationen sind, so unverkennbar ist Tony Slys herausragendes Songwriting, dem hier ein würdiges Denkmal gesetzt wird.

Auch Packung und Bookletposter sind gelungen. NUFAN-Schlagzeuger Rory Koff schreibt über Tonys Persönlichkeit und Kreativität, wie unermüdlich und liebevoll er war. Auf der anderen Seite sind Fotos zu einer Collage zusammengestellt. Es fällt auf, wie melancholisch Tonys Blick auf den meisten ist. Über diesen Tribut hätte er sich sicher gefreut, ebenso darüber, wie sein Wirken Rockbands weiterhin beeinflussen wird.

Die Einnahmen aus dem Verkauf von The Songs of Tony Sly: A Tribute fließen in den Tony Sly Memorial Fund um seine Familie zu unterstützen; ein guter Grund das Album zu kaufen neben den 26 anderen guten Gründen.

Ein lesenswertes Review des Albums lässt sich z.B. hier finden.

Rezension: Deadite – Dieflower

Auf dunklen, nicht rekonstruierbaren Wegen hat das Album Dieflower der Band Deadite an Halloween seinen Weg zu mir gefunden. Grund genug für eine kurze Rezension.

Ohne Label im Rücken haben die vier Belgier 13 Songs aufgenommen, die zusammen auf eine Spielzeit von ca. 39 Minuten kommen, leider inklusive der Unsitte Hiddentrack.

Das große Thema der Band ist Horror, den sie in ihren Texten ausgiebig zelebrieren. Somit umreißt Horror Punk ’n‘ Roll die Sache wohl in etwa, aber in solchen kleinteiligen Genrebezeichnungen sollte man sich nicht verlieren. Wichtiger ist, was ankommt, in diesem Fall: leider zu wenig. Recht spannungsarm reihen sich die Songs aneinander, es fehlen wachmachende Breaks oder sonstige Bausteine für abwechslungsreichere Strukturen. Der Sänger singt solide, aber auch latent monoton, hat zuweilen einen leichten Danzig- und seltener einen Elvis-Anstrich, ohne in die Nähe deren Klasse zu kommen. Gelegentliche Ohs und Ahs im Hintergrund wirken entweder zu dezent oder deplatziert. Doch das große Manko hier wie beim Rest ist die Melodiearmut, die leider nicht durch besondere Energie oder Virtuosität kompensiert wird. Die zweifelsfrei intendierte Aggressivität kommt irgendwie gedämpft rüber, was auch an der eher matschigen Produktion liegen mag.

Es gibt schon den einen oder anderen unterhaltsamen Song, Potential ist da und richtig schlecht ist das alles sowieso nicht. Vielleicht ist es auch stimmungsabhängig, ob das Material größtenteils eben langweilig oder doch hypnotisierend wirkt. Aber ich fürchte langweilig.

Als selbst auf die Beine gestellte und halbwegs hübsch verpackte Visitenkarte für Juzen und Rockkneipen ist Dieflower dennoch in Ordnung. Nur das Bandfoto im Booklet tendiert handwerklich eher zum Thema der Band.

www.deadite.be

Preis vs Wert: I-Fire – Bigger, Better, Hotter

Aktuelle Alben rezensieren kann jeder. Ältere Alben rezensieren kann auch jeder, machen aber nicht so viele. Überhaupt, alt. Alles an dem Folgenden ist schön altmodisch:

Stöbern. Ich liebe das, im 2nd Hand-Plattenladen die vollen Regale, die irgendeinen Schatz verbergen. Entdecken. Sich von einem interessanten Cover locken lassen, das Album in die Hand nehmen, die Rückseite studieren. Abwägen. Mehrere unbekannte und bekannte Fundstücke vor sich ausbreiten und überlegen, was mit nach Hause kommt. Vorfreude. Auf dem Heimweg Booklets begutachten, zuhause die Neuerwerbungen probehören – mit anschließender Enttäuschung oder Freude. Macht mehr Spaß als MP3s zu saugen.

Und darum geht’s: In unregelmäßigen Abständen werde ich ein mir völlig unbekanntes Album gebraucht erwerben und rezensieren. Gerne günstig. (Im aktuellen Laden meiner Wahl kann man nicht in die Sachen reinhören. Größeres Risiko, größere Spannung, größere potientielle Freude.) Für Zahlenfreunde nenne ich den Kaufpreis sowie den Preis, den ich nach Hören ohne zu Zögern gezahlt hätte. Für das gebrauchte Album, wohlgemerkt, nicht für Neuware. In meinem nicht mehr existierenden Lieblingsladen waren 4,99 Euro in der Regel meine Obergrenze für 2nd Hand-CDs. Da muss man inzwischen oft mehr ansetzen, aber der Risikofaktor drückt das Budget wiederum. Und los geht’s mit

I-Fire – Bigger, Better, Hotter (2010)

Warum dieses Album?

Das hübsche Digipack sieht nach modernem Reggae oder Hip Hop aus. Der Blick auf die Rückseite stärkt ersteren Verdacht: In einem Songtitel kommen Rudeboys vor. Also wird es schon irgendwas mit Offbeats zu tun haben, was bei mir für Interesse sorgt. Das Ganze in Deutsch. Leichte Skepsis, denn die Band oder der Künstler ist mir völlig unbekannt. Sicher gibt es in der deutschen Reggaeszene vieles, was mir unbekannt ist. In der Hip Hop-Szene aber noch wesentlich mehr, und das ja nicht grundlos. Ein dicker Pluspunkt ist dafür der Preis, dazu später mehr.

Was kann Bigger, Better, Hotter?

Erster Eindruck: Nach Hiddensongs sind Intros das nervigste, was auf CDs gebrannt wird. Meistens jedenfalls, hier auch. Nach einer guten Minute geht der Quatsch in einen eher uninspirierten Hip Hop-Track über. Hab ich doch auf den falschen Dampfer gesetzt? Ab Lied zwei schippert der Kahn aber durch Reggaekulissen – dicker Offbeat, schneidige Bläser, geschmeidiger Flow. Die Mischung aus Roots und Dancehall beginnt zu wirken.

Drei Rapper/Toaster texten drauflos: Free, Rawbird und Dub-Ill-You, deren bürgerliche Namen Fritz Kschowak, Robert Schlepper und Nils Wieczorek weniger irie klingen, harmonieren gut miteinander. Einer erinnert leicht an den ebenfalls aus Hamburg stammenden Jan Delay, einer dröhnt mit tiefer Dancehallstimme und der dritte klingt nach „normalem“ deutschen Rap. Hab jedenfalls das Gefühl, die Stimme schon öfter gehört zu haben. Einzeln wäre das jeweils vielleicht zu wenig, in der Kombination entsteht ein gut geölter Mix aus Reggae und Hip Hop.

Inhaltlich rotieren Partylyrics, Selbstreferentielles aus dem Reggae-Kosmos und system/kapitalismus/gesellschaftskritische Texte, die 20- bis 25-jährigen Studenten gefallen (und deren Aussagen auch unironisch bejaht werden können). Musikalisch ist das treibend, tanzbar und kopfnickbar in einer sauber-satten Produktion verpackt. Kurz bevor die recht langen Tracks eintönig werden, schlägt die Komposition meist noch einen rettenden Haken – manchmal aber auch nicht. Ausgeleierte Reggaetracks funktionieren aber zum Glück immer noch halbwegs, wenn das Gerüst trägt. Erinnert leicht an Seeed und Culcha Candela bzw. an ein Mittelding der Berliner Combos. Geführt hat die Reise somit zu einem weniger innovativen, aber überzeugendem Paket mit Hip Hop-getränktem Reggae.

Das hat’s gekostet:

Unschlagbare 0,49 Euro. Ein derber Tiefschlag allerdings, den die Band absolut nicht verdient hat.

Und das wär’s mir wert:

4,99 Euro auf jeden Fall, darüber hätte ein Abwägen gegen andere 2nd Hand-Angebote eingesetzt. Ist halt nicht 100%ig mein Ding.

Rezension: Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes ist der literarische Hype der Stunde. Bei Amazon z.B. sahnt das Buch massenhaft Topbewertungen ab. Können so viele Meinungen irren? Kaum, es gibt in der Hinsicht ja kein Richtig oder Falsch. Aber glücklicherweise können Meinungen sehr unterschiedlich sein.

Der Plot ist schnell erzählt: Eine leicht unkonventionelle junge Frau aus der unteren Mittelschicht trifft einen reichen Mann in bestem Alter, der nach einem Unfall schwerstbehindert im Rollstuhl sitzt. Den Job, auf ihn aufzupassen und für ihn zu sorgen, nimmt sie nur widerwillig an; er gibt sich zu Anfang alle Mühe, sie zu vergraulen. Wer jetzt behauptet, wie mutig es ist, mit so einer Situation zu arbeiten, hat den Riesenlärm um Ziemlich beste Freunde wohl nicht mitbekommen. Zu Beginn erinnert hier schon vieles an den französischen Überraschungserfolg.

Es gibt aber grundlegende Unterschiede. Man kann es sich fast denken (ansonsten hilft ein Blick auf die Rückseite des Buches) – die Begegnung der Protagonisten Louisa und Will geht über Freundschaft hinaus und wird zur Liebesgeschichte. Diese wird sehr behutsam aufgebaut – leider auch vorhersehbar. Die Haken, die geschlagen werden, überraschen kaum, man ist beim Lesen immer schon gefühlte 100 Seiten weiter als die Geschichte einen haben will.

Moyes tritt dabei leider wiederholt in die Klischeefalle. Das arme, einfache, tolpatschige Mädchen Mitte Zwanzig, das sich in den reich geborenen, erfolgreichen, intelligenten, eloquenten, hochattraktiven und beinah absurd aktiven Mittdreißiger verliebt. Aber! Dieser ist zunächst ein arroganter Schnösel. Doch was die Liebe (zu) einer Frau so bewirken kann… Gut, ein bisschen komplizierter sind die Wies und Warums dann schon.

Klischeehaft erscheinen aber auch manche Nebenfiguren, allen voran die schlichte Mutter von Louisa. Erfreulich ist, wenn solche eindimensionalen Schilderungen aufgebrochen werden. Ein Kapitel aus der Sicht von Wills Mutter verleiht dieser Figur die dringend notwendige Tiefe. So erschließt sich, dass die Figuren vielleicht nur aus Louisas Sicht, die den Roman ansonsten dominiert, einseitig sind. Der schale Beigeschmack bei manchen Personen bleibt dennoch. Der gelegentliche Perspektivwechsel irritiert zudem. Lous Perspektive nutzt Moyes hingegen, um nicht alles aussprechen zu müssen beziehungsweise manches diffus lassen zu können, da Lou die Situation nicht immer durchschaut.

Groschenromankitsch, der sich etwa in Formulierungen wie „Ich hätte ihm für alle Ewigkeit in die Augen schauen können“ oder in sich wiederholenden Formulierungen äußert, erzeugt Distanz zum sensiblen Thema. Man kann sich teils kaum des Eindrucks erwehren, dass eine massenkompatible Verfilmung beim Schreiben im Hinterkopf war. Die obligatorische dramatische Flughafenszene wird gleich mitgeliefert.

Bemerkenswert ist, wie einfühlsam Moyes mit dem rückenmarksverletzten Will umgeht. Die Situation eines Tetraplegikers wird in vielen Facetten geschildert, auch die Reaktionen der Gesellschaft auf ihn. Und zum schwierigen Thema Sterbehilfe bezieht Moyes erst Stellung, nachdem verschiedene Stimmen zu Wort kamen und die entscheidenden Faktoren recht genau beleuchtet wurden. Dass dieser Prozess hochemotional gestaltet ist, kann kein Kritikpunkt sein.

Neben diesem ist es die Entwicklung der kauzigen Lou, die den Roman trägt. Ihre Entscheidungen trifft man mit, lässt sich von ihnen motivieren und hofft dabei das Beste für die mutige junge Frau. Allerdings, und das braucht nicht weiter ins Gewicht zu fallen, meine ich bei ihr einen Charaktertyp auszumachen, der von Hollywood in letzter Zeit gerne genutzt wird, um jungen Frauen eine Identifikationsfigur zu bieten. Lou ist unangepasst (lustige Klamotten!), sie hat keine Modelfigur, ist aber (natürlich) dennoch attraktiv, sie sagt ihre Meinung, ist lieb, ehrlich und warmherzig, aber auch witzigfrech, eigensinnig und kreativ. Unsicher, aber tapfer, wenn es darauf ankommt. Sie beherrscht keine Etikette und stolpert auf liebenswert ungeschickte Art wiederholt in Fettnäpfchen: Eine leichte Chaotin mit dem Herz am richtigen Fleck. Erinnert an Bridget Jones, New Girl und andere, aber das mag nur mein Eindruck sein. Einen echten charakterlichen Mangel hat Moyes ihr nicht verpasst, zumal die anfängliche Lethargie dramatisch begründet wird.

Problematischer ist die zunächst ungebrochene Gestaltung einer konservativen Mädchenphantasie, die der einfachen, unschuldigen jungen Frau den erfolgreichen Mann als über ihr stehend gegenübersetzt, welcher aber doch auf die Hilfe genau dieser heimlichen Prinzessin angewiesen ist und nur von ihr zum Guten verändert werden kann. Bemüht vielschichtiger wird es durch die Offenbarung, dass beides verletzte Seelen sind, die einander heilen wollen. Hier ergeben sich dennoch differenziertere Fragestellungen. Wer rettet wen, und wenn, in welcher Hinsicht?

Das alles kann man nachlesen, muss es aber sicher nicht. Moyes verarbeitet die Themen Leben oder Sterben mit schwerster Behinderung, Aufbruch, Loslassen und vor allem Lieben leicht lesbar, durch Vorhersehbarkeit wenig spannend und teils symphatisch zu einer leider vom Kitsch getrübten, aber ambitionierten Geschichte, deren Gewinn nicht zuletzt von der Erwartungshaltung abhängt.