Preis vs Wert: Cardiac Casper – Related To The Heart

Warum dieses Album?

Am Artwork lag’s eigentlich ja nicht. Das gefällt mir ausgesprochen wenig mit seinen grünen, blauen und lilanen Klecksen. Allerdings ist diese Farbgebung im Rockbereich nicht so alltäglich. Vielleicht ist der Inhalt ja überraschend anders? Von wegen, scheint der kleine Sticker zu sagen, der wie ein Gütesiegel vorne auf dem Booklet klebt: Da prangt einem doch tatsächlich ein „Nu Metal“ entgegen. Und das im Jahr 2011, in dem dieses Album erschien. Vielleicht damit die drei Nasen, die dem Endneunzigerhype noch glühend anhängen, schneller fündig werden, wenn sie verzweifelt nach Nachschub suchen.
Richtig stimmig wird der schicke gelb-schwarze Sticker durch die zwar klein gedruckte und nur halb zum ersten Statement passende, aber dennoch alles überstrahlende Aussage: „Brilliant rock voice meets heavy shouts“. Das erinnert irgendwie ein bisschen an TV-Shopping, wenn einem olle Centartikel von Rudis Resterampe als glücklichmachende Weltprodukte angeschrien werden.
Kurzum, ich nahm einfach allen Mut zusammen und erlöste dieses ja auch ein wenig Mitleid erzeugende Ding von seinem Dasein im 2nd Hand-Sonderangeboteregal.

Was kann Related To The Heart?

Nach einem langweiligen Intro – kein großer Vorwurf hier, Intros sind meistens langweilig – geht es dann langsam los mit der Nu Metal-Kombi aus tiefen Gitarren, über denen die erwähnten Heavy Shouts und kurz darauf auch die Brilliant Rockvoice, also cleaner Gesang, ihr Tänzchen vollführen. Und siehe da, brilliant ist zwar zu hoch gegriffen, aber der klare Gesang ist sehr solide. Die Growls sind zwar okay, lassen die versprochene Heaviness aber ein wenig vermissen. Etwas schwach auf der Brust. Vielleicht auch ein Versäumnis in der Produktion, die für meine Laienohren allgemein schon ordentlich klingt – bis auf die fehlende Extraportion Druck, die dem Nu Metal seine traditionell dicken Hosen anzieht.
Apropos Nu Metal, mit dem verbinde ich ja eigentlich auch deutliche Hip Hop-Einflüsse, vor allem Rap und Gescratche. Beides lässt sich auf Related To The Heart nicht finden, weswegen das Ganze vielleicht eher zum Metalcore/Emocore tendiert. Aber Grenzen verschwimmen bekanntlich und letztlich soll die Genrebezeichnung auch nicht die große Rolle spielen. Nur könnte der Sticker womöglich etwas fehlleiten. Gewagte Strategie, wenn man die Popularität des Metalcores mit der des Nu Metals in den letzten Jahren vergleicht…
Kompositorisch wechseln die deutschen Cardiac Casper den ein oder anderen stimmungsvolleren Song mit gut gepflegter Langeweile ab. Schlecht ist hier nichts, im Hintergrund läuft es sogar ganz gut, weil unaufdringlich poppig. Aber auch nach mehrmaligem Hören will sich kein Stück festsetzen. Schmacht, Schrei, Schmacht, so halt. Tritt nicht Arsch genug, um wirklich Emotionen auszulösen, die ein oder andere Melodie gefällt aber. Etwas interessanter sind die gelegentlichen Electroelemente, die dem Material dann doch einen Hauch Eigenständigkeit verleihen. Geheimtipp dazu ist der reine Electrotrack Radio! Radio!, der gerne umfangreicher hätte ausfallen können.

Das hat’s gekostet:

Mittelschwere 3,99 Euro.

Und das wär’s mir wert:

3,99 Euro sind noch okay, 2,99 Euro wären mir im Nachhinein lieber gewesen. (Immer dran denken: Hier geht es ausschließlich um „blind“ gekaufte Gebrauchtware!)

Rezension: Broilers – Noir

Das genrebezeichnende Oi steckt nicht nur im Namen der Band aus Düsseldorf, diesmal ist es auch im Albumtitel. Unhörbar allerdings, fast wie die musikalische Prägung in den Stücken auf Noir.

Doch von vorn: Noir ist das sechste Studioalbum der Broilers und tritt die Nachfolge ihrer bisher erfolgreichsten Scheibe Santa Muerte von 2011 an. Konsequent hatte sich die Band in den letzten Jahren von den Oi-Punk-Wurzeln weg-, hin zu Ska-, Reggae-, Soul- und Rockabillyelementen bewegt. Unbeschadet blieben die griffig klugen Texte irgendwo zwischen Großstadtgrau und cineastischer Überhöhung. Zu hören war somit eine mitreißende Mischung aus Melodie, Poesie, Lässigkeit und einem guten Schuss Resthärte, getragen nicht zuletzt von Frontmann Sammys markanten Stimme.

Man konnte sich fragen, ob die Broilers auf Santa Muerte ihren Stil gefunden hatten oder ob sie sich weiterentwickeln würden. Nun, Stillstand ist nicht angesagt. Ihr Weg führt sie weiter in Richtung Indie-Pop, Stadion und mehr ruhigen Momenten. Wie zuletzt präsentieren sie dabei eine große Bandbreite. Gelegentlicher Offbeat, breite Gitarren, Punkrock, Bläser, Mitgröhlrefrains, all das gibt es noch. Neben der dicken Portion Pop halt. Vielleicht ist es dieser, der das Album weniger zupackend macht als das Vorangegangene. Viel waberndes Mid-Tempo zwischen Hoffnung und Melancholie. Dadurch perlt es anfangs am Hörer ab, der etwas ratlos zurückbleibt.

Um es ganz klar zu sagen: Ich habe mir einige Zeit mit dieser Rezension gelassen, um das Album wirklich wirken zu lassen. Es ist absolut hörenswert, offenbart seine Stärken tatsächlich zum Teil erst allmählich. Ich sehe es wie einen glänzend hübschen, neuen Zug an mir vorbeigleiten, winke ihm etwas wehmütig hinterher und steige dann in die ältere Santa Muerte-Dampflok.

Für mich persönlich hatten die Broilers auf dem Vorgängeralbum alles richtig gemacht, ihre Stärken und meine Vorlieben perfekt ausbalanciert. Das passte wie die Heilige zum Tod und klang auch so. Ich verliebte mich in jene 14 Songs von wilder Schönheit, die eine derart schwülstige Beschreibung keinesfalls verdient haben.

Mit Noir ziehen sie nun weiter und werden andere Herzen erobern. Ich bleibe ihnen zwar treu, sehne mich aber im Stillen zu diesem einen Album zurück, damals, als alles perfekt war.

Rezension: Jaya The Cat – O’Farrell

Backward

Gehen Jaya the Cat jetzt doch noch richtig durch die Decke? Da treten sie in Köln auf einmal nicht mehr wie gewohnt im überschaubaren Underground auf, sondern sind um die Ecke in der deutlich größeren Live Music Hall gebucht. Und dann wird noch eine neue Scheibe veröffentlicht, die aber gar nichts Neues, sondern das bisher unveröffentlichte „inoffizielle erste“ Album der Band beherbergt. Nachfrage ist also da.

Von einem Raketenstart kann man bei Jaya allerdings nicht sprechen – stattdessen beweist die Punk-Reggae-Band, dass ausdauerndes Spielen auf kleineren Bühnen und dazu das gelegentliche Veröffentlichen von Alben sich auszahlen kann. Das nun vom Label Ring of Fire vorgelegte Material wurde schon 1999 aufgenommen. Zwei Jahre später erblickte der offizielle Erstling Basement Style das Licht der Musikwelt. Weitere zwölf Jahre darauf scheinen Jaya The Cat also einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht zu haben – lauschen wir dagegen kurz den Klängen der Vergangenheit, die auf O’Farrell präsentiert werden.

Die wichtigste Erkenntnis: Die Jungs um Sänger und Gitarrist Geoff Lagadec konnten auch 1999 schon gute Musik schreiben, spielen und aufnehmen. (Damals allerdings noch in anderer Besetzung und statt in Amsterdam in San Francisco, wo Geoff wohl in der namensgebenden O’Farrell-Straße wohnte.) Alle 14 Songs sind unverkennbar Jaya, egal ob selbstgeschrieben oder gecovert (super: Misunderstood). Ihre geschmacksgebenden Zutaten waren auch damals Punkrock, Offbeat, Melodiösität und Geoffs kantige Stimme. Auf O’Farrell waren sie noch zum Teil im flotten Skabeat unterwegs, was ihnen heutzutage mal wieder gut stände. Auch wenn das für manche Ohren völlig absurd klingt: die Ska-Punk-Nummern kommen so frisch daher, als wäre diese Spielart nicht schon von tausendundeiner Juze-Bands an die Wand genudelt worden. Den lässigen Stil können Jaya halt sowohl schnell wie laid back.

Textlich muss man sich ebensowenig umstellen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass einige Songs auf dem inoffiziellen Debut danach regulär veröffentlicht wurden, beispielsweise der Mitgröhlkracher Forward. Die Versionen auf O’Farrell unterscheiden sich nur im Detail und sind erwartungsgemäß eher die zweite Wahl – was sie aber sicher nicht schlecht dastehen lässt. Man sollte diese Dopplung nur einkalkulieren, bevor man als Fan dann trotzdem zum Ergebnis kommt, dass man auch dieses Album besitzen will. Neulinge greifen bevorzugt zum tatsächlichen Debut.

Anspieltipp: Millennium, das einen im Titel an erfolgreich vergessene Zeiten erinnert und im Song mit diesen versöhnt.

This one’s for you, Tony

Rezension: The Songs of Tony Sly: A Tribute

Im Juli letzten Jahres ist Tony Sly im Alter von 41 Jahren überraschend und vor allem viel zu früh gestorben. Zurück blieben seine Familie, seine Punkrock-Band No Use For A Name sowie zahllose Freunde und Fans, deren Leben der Gitarrist, Sänger und Songwriter geprägt hat. Darunter sind seine Labelkollegen von Fat Wreck Chords, dessen Chef Fat Mike nun dieses Tribute-Album zusammengestellt hat.

Tonys Werk bietet dafür eine große Auswahl; neben den Alben mit seiner Band nahm er noch zwei Solo- und die beiden Acoustic-Alben mit seinem Freund Joey Cape von Lagwagon auf. So ist es eine prall gefüllte Compilation geworden: 26 Songs von Bands, die NUFAN beeinflusst haben (Bad Religion, NOFX), die sich gemeinsam mit ihnen vor allem auf Fat Wreck oder Epitaph nach oben spielten (Lagwagon, Pennywise) oder die von NUFAN beeinflusst wurden (Yellowcard, Simple Plan). Weitere große Namen sind etwa Alkaline Trio, Mad Caddies, Gaslight Anthem oder Rise Against.

Sie alle interpretieren Tonys Songs auf ihre Weise, und es kann keinen Zweifel geben, dass sie sich dem Vermächtnis mit echtem Herzblut widmen. Intensive, berührende Momente sind hier nicht die Ausnahme, sondern nahezu Dauerzustand. Sicher trägt das noch relativ frische Empfinden vom Verlust Tonys dazu bei. Melancholie und Trauer sind spürbar, vor allem in vielen ruhigen Stücken, überschatten aber nicht den positiven Grundton.

Musikalisch ist The Songs of Tony Sly: A Tribute sehr abwechslungsreich geworden. Bad Religion spielen ihren unverwüstlichen Punkrock, Old Man Markley sorgen für einen Schuss Bluegrass, die Mad Caddies überzeugen mit Rocksteady und Frank Turner singt wunderschön reduziert zur Akustikgitarre. So unterschiedlich die Interpretationen sind, so unverkennbar ist Tony Slys herausragendes Songwriting, dem hier ein würdiges Denkmal gesetzt wird.

Auch Packung und Bookletposter sind gelungen. NUFAN-Schlagzeuger Rory Koff schreibt über Tonys Persönlichkeit und Kreativität, wie unermüdlich und liebevoll er war. Auf der anderen Seite sind Fotos zu einer Collage zusammengestellt. Es fällt auf, wie melancholisch Tonys Blick auf den meisten ist. Über diesen Tribut hätte er sich sicher gefreut, ebenso darüber, wie sein Wirken Rockbands weiterhin beeinflussen wird.

Die Einnahmen aus dem Verkauf von The Songs of Tony Sly: A Tribute fließen in den Tony Sly Memorial Fund um seine Familie zu unterstützen; ein guter Grund das Album zu kaufen neben den 26 anderen guten Gründen.

Ein lesenswertes Review des Albums lässt sich z.B. hier finden.

Preis vs Wert: I-Fire – Bigger, Better, Hotter

Aktuelle Alben rezensieren kann jeder. Ältere Alben rezensieren kann auch jeder, machen aber nicht so viele. Überhaupt, alt. Alles an dem Folgenden ist schön altmodisch:

Stöbern. Ich liebe das, im 2nd Hand-Plattenladen die vollen Regale, die irgendeinen Schatz verbergen. Entdecken. Sich von einem interessanten Cover locken lassen, das Album in die Hand nehmen, die Rückseite studieren. Abwägen. Mehrere unbekannte und bekannte Fundstücke vor sich ausbreiten und überlegen, was mit nach Hause kommt. Vorfreude. Auf dem Heimweg Booklets begutachten, zuhause die Neuerwerbungen probehören – mit anschließender Enttäuschung oder Freude. Macht mehr Spaß als MP3s zu saugen.

Und darum geht’s: In unregelmäßigen Abständen werde ich ein mir völlig unbekanntes Album gebraucht erwerben und rezensieren. Gerne günstig. (Im aktuellen Laden meiner Wahl kann man nicht in die Sachen reinhören. Größeres Risiko, größere Spannung, größere potientielle Freude.) Für Zahlenfreunde nenne ich den Kaufpreis sowie den Preis, den ich nach Hören ohne zu Zögern gezahlt hätte. Für das gebrauchte Album, wohlgemerkt, nicht für Neuware. In meinem nicht mehr existierenden Lieblingsladen waren 4,99 Euro in der Regel meine Obergrenze für 2nd Hand-CDs. Da muss man inzwischen oft mehr ansetzen, aber der Risikofaktor drückt das Budget wiederum. Und los geht’s mit

I-Fire – Bigger, Better, Hotter (2010)

Warum dieses Album?

Das hübsche Digipack sieht nach modernem Reggae oder Hip Hop aus. Der Blick auf die Rückseite stärkt ersteren Verdacht: In einem Songtitel kommen Rudeboys vor. Also wird es schon irgendwas mit Offbeats zu tun haben, was bei mir für Interesse sorgt. Das Ganze in Deutsch. Leichte Skepsis, denn die Band oder der Künstler ist mir völlig unbekannt. Sicher gibt es in der deutschen Reggaeszene vieles, was mir unbekannt ist. In der Hip Hop-Szene aber noch wesentlich mehr, und das ja nicht grundlos. Ein dicker Pluspunkt ist dafür der Preis, dazu später mehr.

Was kann Bigger, Better, Hotter?

Erster Eindruck: Nach Hiddensongs sind Intros das nervigste, was auf CDs gebrannt wird. Meistens jedenfalls, hier auch. Nach einer guten Minute geht der Quatsch in einen eher uninspirierten Hip Hop-Track über. Hab ich doch auf den falschen Dampfer gesetzt? Ab Lied zwei schippert der Kahn aber durch Reggaekulissen – dicker Offbeat, schneidige Bläser, geschmeidiger Flow. Die Mischung aus Roots und Dancehall beginnt zu wirken.

Drei Rapper/Toaster texten drauflos: Free, Rawbird und Dub-Ill-You, deren bürgerliche Namen Fritz Kschowak, Robert Schlepper und Nils Wieczorek weniger irie klingen, harmonieren gut miteinander. Einer erinnert leicht an den ebenfalls aus Hamburg stammenden Jan Delay, einer dröhnt mit tiefer Dancehallstimme und der dritte klingt nach „normalem“ deutschen Rap. Hab jedenfalls das Gefühl, die Stimme schon öfter gehört zu haben. Einzeln wäre das jeweils vielleicht zu wenig, in der Kombination entsteht ein gut geölter Mix aus Reggae und Hip Hop.

Inhaltlich rotieren Partylyrics, Selbstreferentielles aus dem Reggae-Kosmos und system/kapitalismus/gesellschaftskritische Texte, die 20- bis 25-jährigen Studenten gefallen (und deren Aussagen auch unironisch bejaht werden können). Musikalisch ist das treibend, tanzbar und kopfnickbar in einer sauber-satten Produktion verpackt. Kurz bevor die recht langen Tracks eintönig werden, schlägt die Komposition meist noch einen rettenden Haken – manchmal aber auch nicht. Ausgeleierte Reggaetracks funktionieren aber zum Glück immer noch halbwegs, wenn das Gerüst trägt. Erinnert leicht an Seeed und Culcha Candela bzw. an ein Mittelding der Berliner Combos. Geführt hat die Reise somit zu einem weniger innovativen, aber überzeugendem Paket mit Hip Hop-getränktem Reggae.

Das hat’s gekostet:

Unschlagbare 0,49 Euro. Ein derber Tiefschlag allerdings, den die Band absolut nicht verdient hat.

Und das wär’s mir wert:

4,99 Euro auf jeden Fall, darüber hätte ein Abwägen gegen andere 2nd Hand-Angebote eingesetzt. Ist halt nicht 100%ig mein Ding.

Rezension: Ein ganzes halbes Jahr

Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes ist der literarische Hype der Stunde. Bei Amazon z.B. sahnt das Buch massenhaft Topbewertungen ab. Können so viele Meinungen irren? Kaum, es gibt in der Hinsicht ja kein Richtig oder Falsch. Aber glücklicherweise können Meinungen sehr unterschiedlich sein.

Der Plot ist schnell erzählt: Eine leicht unkonventionelle junge Frau aus der unteren Mittelschicht trifft einen reichen Mann in bestem Alter, der nach einem Unfall schwerstbehindert im Rollstuhl sitzt. Den Job, auf ihn aufzupassen und für ihn zu sorgen, nimmt sie nur widerwillig an; er gibt sich zu Anfang alle Mühe, sie zu vergraulen. Wer jetzt behauptet, wie mutig es ist, mit so einer Situation zu arbeiten, hat den Riesenlärm um Ziemlich beste Freunde wohl nicht mitbekommen. Zu Beginn erinnert hier schon vieles an den französischen Überraschungserfolg.

Es gibt aber grundlegende Unterschiede. Man kann es sich fast denken (ansonsten hilft ein Blick auf die Rückseite des Buches) – die Begegnung der Protagonisten Louisa und Will geht über Freundschaft hinaus und wird zur Liebesgeschichte. Diese wird sehr behutsam aufgebaut – leider auch vorhersehbar. Die Haken, die geschlagen werden, überraschen kaum, man ist beim Lesen immer schon gefühlte 100 Seiten weiter als die Geschichte einen haben will.

Moyes tritt dabei leider wiederholt in die Klischeefalle. Das arme, einfache, tolpatschige Mädchen Mitte Zwanzig, das sich in den reich geborenen, erfolgreichen, intelligenten, eloquenten, hochattraktiven und beinah absurd aktiven Mittdreißiger verliebt. Aber! Dieser ist zunächst ein arroganter Schnösel. Doch was die Liebe (zu) einer Frau so bewirken kann… Gut, ein bisschen komplizierter sind die Wies und Warums dann schon.

Klischeehaft erscheinen aber auch manche Nebenfiguren, allen voran die schlichte Mutter von Louisa. Erfreulich ist, wenn solche eindimensionalen Schilderungen aufgebrochen werden. Ein Kapitel aus der Sicht von Wills Mutter verleiht dieser Figur die dringend notwendige Tiefe. So erschließt sich, dass die Figuren vielleicht nur aus Louisas Sicht, die den Roman ansonsten dominiert, einseitig sind. Der schale Beigeschmack bei manchen Personen bleibt dennoch. Der gelegentliche Perspektivwechsel irritiert zudem. Lous Perspektive nutzt Moyes hingegen, um nicht alles aussprechen zu müssen beziehungsweise manches diffus lassen zu können, da Lou die Situation nicht immer durchschaut.

Groschenromankitsch, der sich etwa in Formulierungen wie „Ich hätte ihm für alle Ewigkeit in die Augen schauen können“ oder in sich wiederholenden Formulierungen äußert, erzeugt Distanz zum sensiblen Thema. Man kann sich teils kaum des Eindrucks erwehren, dass eine massenkompatible Verfilmung beim Schreiben im Hinterkopf war. Die obligatorische dramatische Flughafenszene wird gleich mitgeliefert.

Bemerkenswert ist, wie einfühlsam Moyes mit dem rückenmarksverletzten Will umgeht. Die Situation eines Tetraplegikers wird in vielen Facetten geschildert, auch die Reaktionen der Gesellschaft auf ihn. Und zum schwierigen Thema Sterbehilfe bezieht Moyes erst Stellung, nachdem verschiedene Stimmen zu Wort kamen und die entscheidenden Faktoren recht genau beleuchtet wurden. Dass dieser Prozess hochemotional gestaltet ist, kann kein Kritikpunkt sein.

Neben diesem ist es die Entwicklung der kauzigen Lou, die den Roman trägt. Ihre Entscheidungen trifft man mit, lässt sich von ihnen motivieren und hofft dabei das Beste für die mutige junge Frau. Allerdings, und das braucht nicht weiter ins Gewicht zu fallen, meine ich bei ihr einen Charaktertyp auszumachen, der von Hollywood in letzter Zeit gerne genutzt wird, um jungen Frauen eine Identifikationsfigur zu bieten. Lou ist unangepasst (lustige Klamotten!), sie hat keine Modelfigur, ist aber (natürlich) dennoch attraktiv, sie sagt ihre Meinung, ist lieb, ehrlich und warmherzig, aber auch witzigfrech, eigensinnig und kreativ. Unsicher, aber tapfer, wenn es darauf ankommt. Sie beherrscht keine Etikette und stolpert auf liebenswert ungeschickte Art wiederholt in Fettnäpfchen: Eine leichte Chaotin mit dem Herz am richtigen Fleck. Erinnert an Bridget Jones, New Girl und andere, aber das mag nur mein Eindruck sein. Einen echten charakterlichen Mangel hat Moyes ihr nicht verpasst, zumal die anfängliche Lethargie dramatisch begründet wird.

Problematischer ist die zunächst ungebrochene Gestaltung einer konservativen Mädchenphantasie, die der einfachen, unschuldigen jungen Frau den erfolgreichen Mann als über ihr stehend gegenübersetzt, welcher aber doch auf die Hilfe genau dieser heimlichen Prinzessin angewiesen ist und nur von ihr zum Guten verändert werden kann. Bemüht vielschichtiger wird es durch die Offenbarung, dass beides verletzte Seelen sind, die einander heilen wollen. Hier ergeben sich dennoch differenziertere Fragestellungen. Wer rettet wen, und wenn, in welcher Hinsicht?

Das alles kann man nachlesen, muss es aber sicher nicht. Moyes verarbeitet die Themen Leben oder Sterben mit schwerster Behinderung, Aufbruch, Loslassen und vor allem Lieben leicht lesbar, durch Vorhersehbarkeit wenig spannend und teils symphatisch zu einer leider vom Kitsch getrübten, aber ambitionierten Geschichte, deren Gewinn nicht zuletzt von der Erwartungshaltung abhängt.

Rezension: The Great Faults – Coming Back Soon

Eine Platte im Briefkasten zwecks Albumkritik ist ja erstmal ein Grund zur Freude – doch es schwingt die Sorge mit, ob man jetzt gegen die Hoffnungen der Musiker anschreiben muss, die in die Scheibe sicherlich Herzblut gesteckt haben. Daher langsam rantasten:

Ein Blick auf die Homepage verrät, dass The Great Faults die als Nebenprojekt begonnene aktuelle Band vom ehemaligen Chelsy-Sänger Martin Arlo Kroll sind. Die ehrwürdige VISIONS lobte wohl die „durchweg guten Songs“ von Chelsy und auch der Musikexpress hatte nette Worte übrig. Klingt toll, aber um die Verflossene geht’s ja gar nicht. Jedenfalls erfährt man, dass The Great Faults ein Duo sind, das neben Sänger und Gitarrist Martin noch aus Schlagzeuger Johannes Wagner besteht und auf dem Debut-Album Coming Back Soon bluesbetonten Indierock praktiziert, der aber nicht nach The White Stripes oder The Black Keys klinge, den Genrereferenzen. Oha, nur zwei Musikanten und: schade, The Black Keys sind doch ganz cool. Das unkonventionelle Schlagzeugspiel sorge dagegen für Eigenständigkeit. So weit, so ergebnislos. Als Freund der guten alten Dreierformation mit Bassgitarre gilt es nun, sich der Skepsis zu stellen und das Making-of-Konzept nicht überzustrapazieren.

Nach dem Intro stampft Parades mit mittelschwerem Schritt hypnotisch nach vorne, schrammt gerade so an der nur verdrogt zu ertragenden Endlosschleife vorbei und hinterlässt damit einen guten ersten Eindruck, der sich nach mehrmaligem Hören festigt. In der nächsten ca. halben Stunde folgen neun weitere Nummern, die mit souveränem Gesang, solider Gitarre und zum Glück nicht irritierend unkonventionellem Schlagzeug immer gerade genug Pop als Zugang zu luftig-bluesigem Indierock bieten. Der Spagat, viel Luft in den Songstrukturen zu lassen, ohne dass die Spannung flöten geht, gelingt meistens. Light gibt der Stille gefühlt den meisten Raum, heraus kommt ein Lieblingssong zum leicht melancholisch am Fenster stehen und auf die unverständliche Welt blicken – am besten zu zweit aneinandergelehnt.

Teils könnte das alles etwas wärmer, weicher, wie-auch-immer klingen oder alternativ eine Ecke cooler, eben wie die Black Keys vielleicht. Geschmackssache, für den nächsten ist die perfekte Mitte getroffen. Trotz Zweierbesetzung fehlt dem Sound nichts. Dienlich ist da auch die Länge der Songs, die trotz besagter Luftigkeit nicht ausufern und somit, Achtung Widerspruch, poppig kompakt bleiben.

Der übergroße Hit war vorerst nicht auszumachen, aber die White Stripes wurden als Blaupause ja auch ausgeschlossen. Wichtiger als das: Kein Ausfall, kein – nochmal Achtung, Riesenwortspiel – großer Fehler trübt die gemeinsame Zeit mit Coming Back Soon; stattdessen können nach und nach interessante Facetten zutage gefördert werden. Kurzgefasst: Ein lohnendes Album mit kleinen Indiebluesrockperlen zum Öfterhören. Für Genrefreunde vielleicht noch mehr. Lässt sich auch alles live abchecken, The Great Faults touren zur Zeit fleißig durch die Gegend.

Coming Back Soon erscheint am 28. Juni 2013 bei TGF/Supermusic.

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neuer Hedonismus

Das Mischen von Musikstilen im Verhältnis ca. 1:1 ist so eine Sache. Kann zu großem Erfolg der neuen Richtung führen (z.B. Ska-Punk und noch viel mehr Nu-Metal), der aber schon bald wieder abebbt und eine von Uncoolnes vertrocknete Szene zurücklässt, die in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Das Aneignen von Elementen aus anderen Stilen ist eher haltbar. Je nachdem entsteht nur eine neue Spielart des bekannten Genres. Grob gesagt: Die melodiösen Gesänge des Pop machen aus Punk überraschenderweise Pop-Punk, Geschwindigkeit und Aggressivität des Punk aus Rockabilly Psychobilly. Metal kann mit Country angereichert werden und so weiter. Sehr subtile Einflüsse erkennen dann nur noch musikgeschichtlich geschulte Ohren.

Jaya The Cat haben nicht den ganz großen Erfolg, um eine neue Szene zu gründen, übermäßig originell ist ihr Ding ja auch gar nicht. Trotzdem gibt es nicht viele, die so und vor allem so gut klingen wie sie; zumindest kenne ich nicht viele. Offbeat und Rock gibt es oft zusammen, vor allem in der schnellen Variante des Ska-Punk oder Skacore. Jaya verlangsamen das Ganze häufig, verzichten auf Bläser und bringen viel bassgenährten Groove rein, vermengen dreckigen Rock mit Rootsreggae und Punk-Attitüde. Weitere Zutaten werden spärlich, aber effektiv eingesetzt. Ein Schuss Hip Hop oder ein Metal-Riff hier und da verdicken den Mix. Ansonsten gibt der Ska-Beat das Tempo an, dank rotzig-charismatischer Jägermeisterstimme dann in Richtung Hardcore statt klarem Pop. Die oft süßlichen Melodien bleiben trotzdem gerne kleben und die Jägermeisterstimme kann auch erstaunlich gefühlvoll; zuweilen wird’s gar hymnenhaft.

Zum Einordnen: Mehr Reggae als Rancid, weniger Ska als The Mighty Mighty Bosstones, also vielleicht irgendwo dazwischen, gesanglich halt auch ähnlich, nur schöner/cooler. Geoff Lagadec ist generell Sirene und Steuermann seiner Band in einem, der trotz Sonnenbrille den Kurs hält zwischen Mitglieder-, Standort- und Labelwechsel. In den Nullerjahren verschlug es die US-Truppe dauerhaft nach Amsterdam, von wo aus sie erfreulich oft nach Deutschland touren und Clubs zum Brodeln bringen.

Momentan zählt das Werk fünf Alben, vier aus dem Studio, eins live mitgeschnitten. Das aktuelle heißt „The new international sound of hedonism“, als Single wurde „And here comes the drums“ ausgekoppelt. Ganz anders ist es zum Glück nicht geworden, wozu denn. Etwas leichter vielleicht und sicher reggaelastiger. Hier und da blitzt ein neues Instrument hervor, mal wird es funkiger, mal ruhiger und gefühlvoller denn je zuvor. Mancher meint jetzt erwachsener sagen zu müssen. Nicht jeder Track verdient Lobesgeschrei; eine reine Hitfabrik waren sie eh noch nie. Aber das Album lässt sich gerne wiederholt anhören, bleibt häppchenweise hängen und bereitet dabei viel Freude.

Wem die Mische zusagt, kann sich auch die anderen Alben bedenkenlos geben. Der Rest tanzt beim Konzert trotzdem mit.