Ewige Jugend – und dann?

Die Entstehung der Popkultur ist eng mit dem Bedürfnis nach Abgrenzung verbunden. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wollten sich Jugendliche von der Generation ihrer Eltern abgrenzen, von der etablierten, muffigen und einengenden Leitkultur. Das war noch keine konkret politische Sache. Die wurde es in den Sechzigern, was in der Intensität aber nur ein Intermezzo blieb.

Rock ’n‘ Roll, Milchbar und co. dienten also dazu, im Privaten einen Gegenentwurf zum Konzept der Erwachsenen zu bilden, bzw. Gefühle zu erzeugen, die die drohende Enge sprengten. Jugendliche konnten sich eine eigenständige Identität konstruieren – der Kampf der Generationen begann. Und wandelte sich im Laufe der Zeit zunehmend in einen Kampf der Unterscheidungsmerkmale innerhalb der Jugend. Rocker gegen Mods gegen Skins und so weiter, durchaus ja auch mit Fäusten.

Diese Funktion ist heute vielleicht entscheidend, nur das zum Glück viel seltener die Faust dafür geschwungen wird: Durch die Wahl einer Szene (und sei es nur der jeweilige Mainstream) oder mancher ihrer Merkmale richtet man sich seine Persönlichkeit ein, bis man sich z.B. im Hip Hop heimisch fühlt und möglicherweise den Rest des Lebens nicht mehr großartig umräumt. Man hat seinen Platz in der Welt der Freizeit gefunden. Abgrenzung nach oben, vom etablierten Standard – sprich den Eltern – ist dann nicht mehr so wichtig. Die wohnen ja vielleicht gleich nebenan im Hippieviertel und finden andere Styles auch voll okay, geben also kein Konfliktpotential her.

Nach wie vor ist vielen dieser Szenen jedoch die Jugendlichkeit gemein. Pop und Jugend gehören zusammen. Man grenzt sich vom Alter ab, das vor allem als diffuse Vorstellung existiert. Ob Elektro oder Metal, im Kern will fast jeder jung bleiben. Hip. Cool. In, in seinem jeweiligen Kontext wenigstens. Aber was passiert, wenn wir alle jung bleiben (abgesehen von denen, die streng konservativ sich der Popkultur verweigern)? Haben wir dann eine aktiv-innovative, aufgeschlossene, coole Gesellschaft? Oder eine eitle, unreife, oberflächliche, die sich nicht weiterentwickeln will? Wie immer von beidem etwas? Legen wir Wert auf die falschen Dinge, die wir rückwärtsgewandt festhalten oder erhalten wir uns Wertvolles ein Leben lang? Und wird (oder ist) Popkultur langweilig, weil ihrer Rebellion die Glaubwürdigkeit fehlt, weil sie gar die neue Leitkultur geworden ist, die die Offizialkultur mit ihren Opern und Museen in eine Nische drängt?

Diese Frage wird ja schon seit längerem gestellt: Wogegen soll man noch rebellieren? Müssen sich Erwachsene vom Pop abwenden, damit Jugendlichen ein Gegenbild geboten wird? Muss sich Pop zu diesem Zweck ständig neu erfinden? Oder sollte man darüber nachdenken, ob überhaupt rebelliert werden muss? Zumindest im popkulturellen Rahmen, das restliche Weltgeschehen gibt mehr als genug her. Vielleicht müsste Pop wieder politischer werden. Echte Gegner, echte Energie. Das könnte eine Verschiebung vom Kommerz zu unberechenbarer Kraft erzeugen, Risikio und Leidenschaft verstärken. Und das Altern zulassen.

Bleibt zu klären, ob man das will. Ob das die Aufgabe von Pop sein sollte. Wohl auch eine Frage des Zeitpunkts. Immer wichtig für Pop jedenfalls: Gedankliche Beweglichkeit, Mut zu Neuem, Spaß. Und dann muss man mal weitersehen.

 

Popkultur?

Mal vorweg: Ich fasse den Begriff Popkultur sehr weit. Sie findet in Musik, Film, Fernsehen, Comics, Videospielen, Streetart etc. stilübergreifend statt. Also nicht nur Mainstream mit Charts und Popcorn-Cinema, sondern auch Punkrock und Poetry Slam. Selbst Anglizismen sind nicht zwingend.

Intuitiv assoziiere ich damit bunt, jung, grell, schnell, zugänglich, volksnah, multimedial, emotional, international, aber nicht unbedingt alles gleichzeitig. Protest und Abgrenzung waren wichtig – sind sie es noch? Oder ist alles nur Spaß?

Die exakte Differenzierung fällt mir schwer. Gehören alle Comics zur Popkultur, unabhängig vom Inhalt? Wozu gehört Science Fiction? Wieviel Intellektualität verträgt Popkultur?

Frei nach Goethe gibt es bei Theater, Film und co. drei Stufen, die unterschiedliche Leute ansprechen: Die schlichte Action, die das Bedürfnis nach Spektakel bedient. Hauptsache, es passiert was. Dann das Spiel mit den Emotionen – man ist ergriffen, traurig, erregt oder so. Und als höchstes die intellektuelle Stimulation.

Meine Vorlieben tendieren zum mittleren Punkt, und da sowie bei der ersten Stufe verordne ich auch in erster Linie die Popkultur. Wenn sich bei US-Serien gegen Ende der Folgen gefühlsschwangere Musik über ansonsten stumme Einstellungen und Schnittsequenzen legt, Forrest Gump auf der Terrasse seines nun leeren Hauses steht oder Jack, Sawyer und Kate lebend an den Strand zurückkehren, dann bin ich dabei. Kitsch? Manchmal bestimmt. Manchmal aber auch einfach nur groß. Oder gibt es etwas schöneres (und traurigeres), als Ellie und Carls Höhen und Tiefen mitzuerleben?

Gegen etwas knackige Action habe ich dennoch sicher nichts einzuwenden, und wenn plötzlich eine intellektuelle Erkenntnis einsetzt, kann sie gerne bleiben. Von allem etwas ist also schon okay, da bin ich ganz Diplomatensohn.

Nachtrag: Ärgerlich, das oben verlinkte Video zu dem wunderschönen Pixarfilm ist in Deutschland Gema sei Dank nicht mehr verfügbar. Man suche nach „Up“, „Carl & Ellie“ etc., dann wird man die nur mit Musik unterlegte Sequenz aus dem einleitenden Teil des Films finden. Oft nur in längeren Ausschnitten, aktuell z.B. hier