Via Pressetext bin ich auf eine interessante Meldung gestoßen: Songtexte von Popmusik werden seit den Fünfzigerjahren zunehmend wütender und trauriger. Forscher der Lawrence Technological University haben 6.150 Hits der Billboard Hot 100 aus den Jahren 1951 bis 2016 vom Computer analysieren lassen. Durchaus eine stattliche Datenbasis. Allerdings beziehen sich die Billboard Hot 100 nur auf den US-Musikmarkt.
Man kann noch ein paar Einzelheiten herausheben, etwa, dass in den Jahren von 1982 bis 1984 die Liedertexte fröhlicher waren als zu jeder anderen Zeit seit den Fünfzigern, oder dass seit Mitte der Neunziger die Wut besonders deutlich anstieg, 2015 aber erst ihren Höhepunkt fand. Unter dem Strich bleibt jedenfalls der stetige Anstieg von vor allem Wut, aber auch Trauer, Angst etc.
Die Gründe hierfür zeigt die Studie nicht auf. Das lädt doch zum Nachdenken ein … Naheliegend: Die Zeiten werden immer schlechter oder schwieriger, die Menschen reagieren mit dementsprechenden Emotionen, was sich wiederum in ihrem Musikgeschmack widerspiegelt. Klingt fast zu einfach als Erklärungsansatz.
Werden die Zeiten immer schlechter oder schwieriger? Das zu beantworten, dürfte einige Abhandlungen erfordern, die womöglich dennoch kein eindeutiges Ergebnis liefern. Die Anforderungen, die die Welt an uns stellt, werden komplexer, die Sinne stärker gereizt. Das kann man guten Gewissens sagen. Globales, vernetztes, digitales Leben. Schnelles Leben. Dass der Mensch darauf mit Stress reagiert, welcher zu Wut und Trauer führen kann, ist plausibel.
Man kann auch einen anderen Blickwinkel einnehmen. Die gesellschaftliche Freiheit hat seit den Fünfzigern zugenommen. Bürgerrechtsbewegungen, 68er, Hippies und co. Die Freiheit, sich auszudrücken, wie man möchte. Das Brechen von Fassaden und Konventionen. Etwa dem Diktat der guten Laune. Es ist okay, wütend zu sein und es durch das Hören entsprechender Musik auszuleben. Wut und Trauer werden enttabuisiert.
Oder nimmt die Empathie zu, die die Menschen das Leid auf der Welt deutlicher wahrnehmen lässt, was wiederum zu mehr Wut und Trauer führt? Oder liegt es an vermehrten medialen Möglichkeiten, diese Missstände wahrzunehmen (was ersteres natürlich nicht ausschließt – vielleicht rücken z.B. die Menschen durch die, auch mediale, Globalisierung enger zusammen, was ihr Mitgefühl füreinander erhöht)? Oder gibt es einfach Moden in der Popmusik, die sich über Jahrzehnte erstrecken, was bedeuten könnte, dass uns als nächstes, nach dem Anstieg der Wut, ein jahrzehntelanger Anstieg der Fröhlichkeit in Texten bevorsteht? Oder ist das alles nur Zufall?
Eine Antwort habe ich, wer hätte es gedacht, auch nicht.