Rezension: Versengold – Nordlicht (Märchen von morgen Edition)

Es ist fast ein neues Album, das Versengold aus Bremen hier abliefern: Sieben neue Songs ergänzen das bisherige Material vom 2019 erschienenen Nordlicht, dazu enthält das Digipack eine 17 Stück starke Live-CD mit Aufnahmen des letztjährigen Tour-Abschlusses in Hamburg.

Die seit 2003 spielende Band hat sich im Laufe der Jahre von der Mittelalterszene hin zum Folk-Rock irischer Prägung mit leichten Punk- und Metaleinflüssen entwickelt. Treibend tanzbar und schwermütig, das sind die Pole, zwischen denen Versengolds Musik pendelt. Dabei immer eingängig, so sehr, dass es dem ein oder anderen die gut geschriebenen Texte verhageln wird. Der Youtube-Hit Thekenmädchen z.B. könnte beinah auch im Kölner Karneval funktionieren, vielleicht von Brings interpretiert, was natürlich nichts Schlechtes ist – nur zur Einordnung.

Lyrisch wird auf Nordlicht ein interessantes Spektrum geboten, neben den alkoholgeschwängerten Partystücken haben etwa Exkurse in die Geschichte der norddeutschen Bandheimat ihren Platz in Versengolds Kosmos. De rode Gerd erzählt schaurig-schön von einem Schmugglerkönig, Winterflut 1717 düster-tragisch von ebenjener Naturkatastrophe. Erinnere Dich (Ein Lied das nicht vergisst) und Schöne Grüße von Zuhause, eines der neuen Lieder, führen zurück in die nicht immer einfachere Gegenwart.

Solche Themen – Demenz, Coronakrise – souverän kitschfrei zu bearbeiten, ist bei dem hohen Popfaktor leider nicht selbstverständlich. Bonuspunkte gibt es für die schön verpackte, dennoch klare Ansage in Braune Pfeifen. Macht mit ordentlich Druck und punkigen Backing Vocals auch musikalisch richtig Laune.

Unter den neuen Songs besetzen Lied für Oma und Mach noch ’ne Runde die atmosphärischen Gegensätze Melancholie und Humor – beides allerdings langsame Nummern. Der Titeltrack dieser Edition, Märchen von morgen, stellt den Tiefpunkt des Albums dar, gefällig-belangloser Deutschpoprock mit zartem irischen Einschlag als Alleinstellungsmerkmal, für’s Langweilradio gemacht. Mit Mondlicht geht es erst wieder aufwärts, bevor Lichterloh sich Pur annähert. Das kompakt auf den Punkt gespielte Instrumental Thekentune lässt diese Gratwanderung zum Glück schnell hinter sich. Die stärksten Songs sind jedoch die bereits bekannten.

Wirklich lohnenswert macht die Märchen von morgen Edition im Vergleich zum bisher erhältlichen Nordlicht das beigelegte Live-Album. Sänger Malte Hoyers Charisma bleibt auch nach dem langen Weg der Konzert-Aufnahmen ins heimische Wohnzimmer erlebbar, die Atmosphäre beim Tourfinale stimmt in Corona-Zeiten wehmütig und der Sound ist tadellos.

Nordlicht – Märchen von morgen Edition erscheint am 24. Juli 2020 via Sony Music.

Foto: Nikkita Luennenmann