Retrozock

Retro, retro, retro! Überall ist alles retro, und das gefühlt schon so lang, dass es bereits retro ist, retro zu sein. Noch und wieder, gleiche Lieder, die tote Hose der Innovation gleicht einem Wiedergängergewand schon. Oder so ähnlich.

Zwar schreitet die Technik voran, doch erfreuen wir uns eben auch regelmäßig an den Errungenschaften vergangener Tage. Neuaufgelegte Handys aus unsmarten Zeiten, Achtzigerjahre-Digitaluhren, Polaroid-Kameras und natürlich Videospiele. Alter Perlen werden seit eh und je per Emulator auf aktuellen Plattformen gezockt. Stilechter wird es, wenn die ganze Konsole wiederveröffentlicht wird. Das Neo Geo ist ein prominentes Beispiel. Doch die absolute Nummer 1 ab ca. Mitte der Achtziger und während nahezu der gesamten Neunziger war zweifellos Nintendo dank zwei legendärer Daddelkisten: erst das Famicom, dann das Super Famicom, bzw. hierzulande NES (Nintendo Entertainment System) und SNES/Super Nintendo.

Letztes Jahr brachte der ehemalige Marktführer das Nintendo Classic Mini NES in die Läden: ein miniaturisierter Nachbau des NES mit 30 vorinstallierten Spielen, dafür ohne die Möglichkeit, auf legalem Wege noch andere der alten Titel zu spielen. Der Controller soll annähernd identisch zum Original sein, dessen Kabel jedoch unsinnig verkürzt. Das größere Problem an dem Portal in die Kindheit: Nintendo rechnete angeblich nicht mit der immensen Nachfrage, so dass das gute Stück schneller vergriffen war, als Mario nach Pilzkonsum sein Bewusstsein erweitert (dank Körperwachstum natürlich). Mehr als ursprünglich geplant wollte das japanische Unternehmen dennoch nicht produzieren.

Die Folge: Horrende Preise bei eBay, Amazon etc., wo sich zahlreiche Wiederverkäufer ihr scheinbar schnelles Zuschlagen fürstlich entlohnen lassen wollen. Der ursprüngliche Preis lag bei etwa 80 €; im Internet wird nun teilweise mehr als das Sechsfache verlangt, auch wenn es den IQ eines Koopa braucht, um bei diesen Angeboten zuzuschlagen.

Doch wir schreiten unerbittlich weiter durch die Vergangenheit: Dieses Jahr legt Nintendo mit dem Nintendo Classic Mini SNES nach. 21 installierte Spiele, zwei Controller mit längerem Kabel im Gepäck, dafür 20 € teurer. Und wieder rastet das Publikum aus und bestellt in weniger als einer Stunde nach Vorverkaufsstart am 27. Juni die Bestände der großen Händler leer. Der eher langsam veranlagte Autor dieser Zeilen hat nach seinem Totalversagen beim Classic NES immerhin nur ungefähr eine Woche später von der Sache erfahren.

Auf der Onlineplattform eines großen Handelsunternehmens begann daraufhin nach ein wenig Internetrecherche die spektakuläre Jagd nach dem heiligen Retrogral. Dort, so besagten Gerüchten aus den Tiefen eines Forums, ließe sich der Schatz noch reservieren. Doch der Weg dorthin sollte steinig werden. Es galt mehrere Stufen zu erklimmen, z.B. Eingabe der Adresse, Registrierung, Wahl der Filiale, bei dem man sich sein Gerät abholen wolle. Dank wohl völliger Überlastung der Internetseiten stellten diese Stufen beinah unüberwindbare Hindernisse dar. Nach jedem Klick, der einen zum nächsten Schritt im Vorbestellvorgang leiten sollte, blieb die Zeit in Form einer schier endlos ladenden Seite stehen, nur um irgendwann doch in niederschmetternden Fehlermeldungen zu verenden. Also ein Schritt zurück und der erneute Versuch. Um es abzukürzen: Letztendlich hat dieses Abenteuer nur etwa zwei Stunden gedauert. Der Lohn war eine Bestätigung per E-Mail, dass ein Gerät für mich reserviert sei! So fühlen sich moderne Erfolgserlebnisse an. Gar nicht so retro.

PS: Nintendo verspricht, vom Classic SNES deutlich höhere Stückzahlen zu produzieren. Jeder, der wolle, solle am Verkaufsstart im September eines erwerben können. Die großen Händler werden wohl jenseites der bisher zugesagten Kapazitäten noch Nachschub erhalten. Dennoch, auch das Classic SNES wird nur in künstlich begrenztem Umfang hergestellt werden. Ich lehne mich erst zurück, wenn ich nach langer Zeit Super Mario auf einem kleinen Dinosaurier reitend nach Pilzkonsum über sich hinauswachsen sehe.