Aktuelle Alben rezensieren kann jeder. Ältere Alben rezensieren kann auch jeder, machen aber nicht so viele. Überhaupt, alt. Alles an dem Folgenden ist schön altmodisch:
Stöbern. Ich liebe das, im 2nd Hand-Plattenladen die vollen Regale, die irgendeinen Schatz verbergen. Entdecken. Sich von einem interessanten Cover locken lassen, das Album in die Hand nehmen, die Rückseite studieren. Abwägen. Mehrere unbekannte und bekannte Fundstücke vor sich ausbreiten und überlegen, was mit nach Hause kommt. Vorfreude. Auf dem Heimweg Booklets begutachten, zuhause die Neuerwerbungen probehören – mit anschließender Enttäuschung oder Freude. Macht mehr Spaß als MP3s zu saugen.
Und darum geht’s: In unregelmäßigen Abständen werde ich ein mir völlig unbekanntes Album gebraucht erwerben und rezensieren. Gerne günstig. (Im aktuellen Laden meiner Wahl kann man nicht in die Sachen reinhören. Größeres Risiko, größere Spannung, größere potientielle Freude.) Für Zahlenfreunde nenne ich den Kaufpreis sowie den Preis, den ich nach Hören ohne zu Zögern gezahlt hätte. Für das gebrauchte Album, wohlgemerkt, nicht für Neuware. In meinem nicht mehr existierenden Lieblingsladen waren 4,99 Euro in der Regel meine Obergrenze für 2nd Hand-CDs. Da muss man inzwischen oft mehr ansetzen, aber der Risikofaktor drückt das Budget wiederum. Und los geht’s mit
I-Fire – Bigger, Better, Hotter (2010)
Warum dieses Album?
Das hübsche Digipack sieht nach modernem Reggae oder Hip Hop aus. Der Blick auf die Rückseite stärkt ersteren Verdacht: In einem Songtitel kommen Rudeboys vor. Also wird es schon irgendwas mit Offbeats zu tun haben, was bei mir für Interesse sorgt. Das Ganze in Deutsch. Leichte Skepsis, denn die Band oder der Künstler ist mir völlig unbekannt. Sicher gibt es in der deutschen Reggaeszene vieles, was mir unbekannt ist. In der Hip Hop-Szene aber noch wesentlich mehr, und das ja nicht grundlos. Ein dicker Pluspunkt ist dafür der Preis, dazu später mehr.
Was kann Bigger, Better, Hotter?
Erster Eindruck: Nach Hiddensongs sind Intros das nervigste, was auf CDs gebrannt wird. Meistens jedenfalls, hier auch. Nach einer guten Minute geht der Quatsch in einen eher uninspirierten Hip Hop-Track über. Hab ich doch auf den falschen Dampfer gesetzt? Ab Lied zwei schippert der Kahn aber durch Reggaekulissen – dicker Offbeat, schneidige Bläser, geschmeidiger Flow. Die Mischung aus Roots und Dancehall beginnt zu wirken.
Drei Rapper/Toaster texten drauflos: Free, Rawbird und Dub-Ill-You, deren bürgerliche Namen Fritz Kschowak, Robert Schlepper und Nils Wieczorek weniger irie klingen, harmonieren gut miteinander. Einer erinnert leicht an den ebenfalls aus Hamburg stammenden Jan Delay, einer dröhnt mit tiefer Dancehallstimme und der dritte klingt nach „normalem“ deutschen Rap. Hab jedenfalls das Gefühl, die Stimme schon öfter gehört zu haben. Einzeln wäre das jeweils vielleicht zu wenig, in der Kombination entsteht ein gut geölter Mix aus Reggae und Hip Hop.
Inhaltlich rotieren Partylyrics, Selbstreferentielles aus dem Reggae-Kosmos und system/kapitalismus/gesellschaftskritische Texte, die 20- bis 25-jährigen Studenten gefallen (und deren Aussagen auch unironisch bejaht werden können). Musikalisch ist das treibend, tanzbar und kopfnickbar in einer sauber-satten Produktion verpackt. Kurz bevor die recht langen Tracks eintönig werden, schlägt die Komposition meist noch einen rettenden Haken – manchmal aber auch nicht. Ausgeleierte Reggaetracks funktionieren aber zum Glück immer noch halbwegs, wenn das Gerüst trägt. Erinnert leicht an Seeed und Culcha Candela bzw. an ein Mittelding der Berliner Combos. Geführt hat die Reise somit zu einem weniger innovativen, aber überzeugendem Paket mit Hip Hop-getränktem Reggae.
Das hat’s gekostet:
Unschlagbare 0,49 Euro. Ein derber Tiefschlag allerdings, den die Band absolut nicht verdient hat.
Und das wär’s mir wert:
4,99 Euro auf jeden Fall, darüber hätte ein Abwägen gegen andere 2nd Hand-Angebote eingesetzt. Ist halt nicht 100%ig mein Ding.