Liebesliste

Kürzlich taten sich Abgründe auf: Ich musste erfahren, dass einer meiner langjährigsten Freunde bei der letzten TV-Ausstrahlung die alten Star Wars-Filme zum ersten Mal vollständig sah. Ja, Episode IV bis VI, die zwischen 1977 und 1983 erschienen. Da denkt man, man kennt jemanden nach knapp dreißig Jahren. Raul* wusste nicht mal, dass Darth Vader am Ende stirbt!

Kritisch, wie er ist, merkte er die ein oder andere Unzulänglichkeit an, die er empfunden hatte. Liebenswert, wie er ist, verschonte er mich dabei wohl mit dem vollen Umfang seiner Meinung. Für eine tiefgehende Diskussion war keine Zeit, aber ich verspürte bereits eine Schwierigkeit: Wie kann man jemandem, dessen erster richtiger Kontakt mit der Krieg der Sterne-Saga als Thirtysomething und eher zufällig durch TV-Berieselung stattfindet, diese unglaubliche, generationenübergreifende Faszination erläutern? Jemandem, der zwar Genres wie Sci-Fi, Abenteuer etc. nicht abgeneigt ist, der aber auch mit recht abgeklärtem Blick das riesige Unterhaltungsangebot unserer Zeit sondiert?

Eine schnelle Antwort kenne ich noch nicht. Daher versuche ich kurz auzuflisten, was wir alles an diesen Filmen lieben – natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Genremix

Eine der größten Inspirationsquellen für Star Wars-Schöpfer George Lucas waren alte Flash Gordon-Serials, die er in seiner Kindheit gesehen hatte. Nachdem er die Rechte an dem Stoff nicht bekam, entschloss er sich, eine eigene Geschichte zu kreieren. Neben leichtverdaulichen Weltraumabenteuern ließ er noch eine Reihe weitere Genres in seine Version einer Space Opera einfließen: In Star Wars finden sich Westernelemente neben Mittelalterversatzstücken, Anleihen an Mantel- und Degen-Filmen und Aspekte von Science Fiction, Märchen, Kriegsfilmen, Piratengeschichten und anderen tollen Sachen. Also so ziemlich allem, was insbesondere Kindern Spaß macht. Han Solo etwa ist der lässige Westernheld, dem viele Jungs nacheiferten und den nicht wenige Mädchen anhimmelten. Luke Skywalker der tapfere Jüngling, der zum Ritter wird. Yoda das mystische Wesen aus einer Fantasygeschichte. Die Rebellen manövrieren ihre X-Flügler wie irdische Weltkriegspiloten. Es gibt Schmuggler, Gangsterbosse, Sklaven, Kopfgeldjäger, Prinzessinnen, Farmer, Generäle, Zauberer, Spieler und Fliegerasse. Alles in einer Geschichte!

ein Märchen?

Es ist eine Übertreibung zu sagen, dass Star Wars ein Märchen im Weltraum ist. Aber es hat märchenhafte Züge, die über den Eröffnungssatz („Es war einmal, in einer weit, weit entfernten Galaxis“) hinausgehen. Das verdient besondere Erwähnung, denn dieser leicht märchenhafte Charakter sorgt für die Zeitlosigkeit der Geschichte und dafür, dass wir uns in ihr zuhause fühlen – obwohl sie in einer so weit entfernten Galaxis spielt. Der Todesstern ist eine Burg, bewacht vom bösen schwarzen Ritter, Darth Vader, aus der der heldenhafte Jüngling die Prinzessin rettet. Oder es zumindest versucht, denn in Star Wars wird eben so manches abgewandelt, was dazu führt, dass sich Prinzessin Leia zu einem guten Teil selber den Weg freischießt. Doch am Ende kann man auf jeden Fall sagen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Und das vermittelt ein verdammt gutes Gefühl, das nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene mögen.

altbewährt

Wenn man sie auf ihren Kern reduziert, gibt es nicht viele Geschichten, die uns Menschen interessieren. Die Heldenreise ist ein Urmuster, das seit tausenden Jahren kulturübergreifend ihre Rezipienten in den Bann zieht. Weil sie elementare menschliche Konflikte in stilisierter Form darstellt. George Lucas hat sich bewusst deutlich an dieser Heldenreise orientiert, um eine universell funktionierende Geschichte zu erzählen.

Epik

Eben war es noch das locker-flockige Abenteuer von einer bunt zusammengewürfelten Truppe, da tun sich plötzlich galaxisbestimmende Zusammenhänge auf, verändern familiäre Verbindungen alles und unsere Helden bekommen ihre schwersten Prüfungen auferlegt. Die Star Wars-Saga ist von epischem Ausmaß, egal ob man alle (bisherigen) sechs Teile oder nur die drei alten betrachtet. Eine (welt)raumgreifende Geschichte von einem Jungen, der auszog, um die Galaxis zu retten und dabei das schlimmste Geheimnis seiner Familie erfährt (Luke Skywalker). Oder die Tragödie eines Mannes, der zum mächtigsten Krieger wurde und blind vor Liebe alles zerstörte, wofür er einst kämpfte, bis er am Ende von seinem Sohn zurück zum Guten geführt und erlöst wird (Anakin Skywalker). Die Darstellung des ewigen Kampfes des Guten gegen das Böse, des Untergangs der Demokratie und des Auflehnens gegen die Diktatur. Von Hoffnung, Liebe und Schmerz. Kurz: Da steckt einiges drin.

Fantasie

Was ist das tollste Spielmittel? Die Fantasie. Sie lässt uns als Kinder Sachen sehen, die es nicht gibt, und haarsträubende Geschichten erleben. Star Wars ist voll davon. Voller Orte und Wesen, die man nie zuvor gesehen hatte, mit exotischen Waffen, coolen Vehikeln und vor allem großen Abenteuern. In fast jeder Szene gibt es im Hintergrund unzählige Details zu entdecken, die diese fremde und doch vertraute Welt interessanter machen. Die meisten Geschichten werden in den Filmen gar nicht gezeigt, das wird schnell klar. Es ist ein sehr reichhaltiges Universum, das belegen auch die zahllosen von Fans erdachten literarischen oder filmischen Werke: Ein Zeugnis großer Fantasie und eine Spielwisese für sie zugleich.

Romantik

Romantische (der Begriff wird hier dem heutigen Sprachgebrauch entsprechend genutzt) Facetten haben die Filme im konkreten und mehr im allgemeineren Sinne. Natürlich gibt es die wild-lässige Romanze zwischen der Prinzessin Leia Organa und dem Schmuggler Han Solo. Und in den Prequels das kitschige (aber in seiner Weltfremdheit den Protagonisten angemessene) Liebesfeuerwerk zwischen dem auserwählten Jedi-Ritter Anakin Skywalker und der ehemaligen Königin Padmé Naberrie. Dazu kommt die eigentümliche, aber herzerwärmende Beziehung von R2-D2 und C-3PO.

Das allgemeinere Gefühl von Romantik, ein Schmelztiegel aus sehnsuchtsvollem Schmachten, melancholischer Verträumtheit und überschäumender Freude, entsteht bei Star Wars aus Bildern, die endlose Weite, mystische Geheimnisse oder starken Zusammenhalt vermitteln, und diese Eindrücke potenzierende Musik, zusammengefasst in ruhige oder pulsierende Szenen, die wahrscheinlich zu einem großen Teil für die den Filmen oft zugeschriebene Magie verantwortlich sind.

Trash

Dieser Punkt spaltet die Gemeinde sicherlich. So mancher Zeitgenosse konnte 1977 wohl nicht verstehen, warum er unter anderem einem großen Weltraumaffen, der nur mit einem überdimensionierten Patronengurt bekleidet ist, zusehen soll, wie er mit einer Laserarmbrust seinem Cowboykollegen beisteht. Oder eine weißgekleidete Prinzessin mit wahnwitziger Schneckenfrisur sich mit einem weißgekleideten Spacefarmer über einen Abgrund irgendwo in einer mondgroßen Raumstation schwingt. Von den streitlustigen Gästen der Weltraumhafenkneipe ganz abgesehen. Klar, das ist eigentlich Trash vom Feinsten. Was nichts Schlechtes sein muss, im Gegenteil. Der Clou ist aber, dass sich dieser Trash maximal authentisch in eine epische Geschichte fügt, die allen Irrsinn zur Normalität werden lässt. Wenn man nur bereit ist, ihr zu folgen …

oscarprämierte Effekte

Schon die erste Einstellung beeindruckte, als in den Kinosälen 1977 dieses nie enden wollende Raumschiff über die Zuschauer zog. Die Effekte in Star Wars waren zu ihrer Zeit bahnbrechend. George Lucas musste für die gelungene Umsetzung seiner Ideen erst eine eigene Effektschmiede gründen: Industrial Light & Magic (ILM) ist noch heute ein Schwergewicht der Branche. So realistisch wirkende Raumgefechte hatte man noch nicht gesehen, dazu die vielen exotischen Wesen, Roboter, Waffen (Lichtschwerter!) und Kulissen – Star Wars erweiterte die Bildsprache Hollywoods nachhaltig und bereitete den Weg für viele weitere Effektfeuerwerke. Legendär sind natürlich auch die Soundeffekte, von denen manche (Lichtschwerter!) tief in das kollektive Gedächtnis der Popkultur eingedrungen sind. Es ist völlig unzureichend, diese mit einem Satz abzuhandeln, aber ich wollte das hier ja eigentlich kurz halten …

Design

Tolle Effekte sind ein mächtiges Werkzeug, ihre volle Wirkung entfalten sie aber nur, wenn sie optisch faszinierende Objekte zum Leben erwecken. Ralph McQuarrie ist einer der wichtigsten Namen im Entstehungsprozess der Filme. Zahlreiche seiner gezeichneten Entwürfe wurden filmisch umgesetzt zu Ikonen der Popkultur, sie halfen George Lucas, seine Geldgeber zu überzeugen und somit Episode IV zu finanzieren und werden noch heute in abgewandelter Form bei aktuellen Star Wars-Produktionen verwendet. X-Wings, Darth Vader, Sturmtruppen, der Millennium Falke – es gibt in der Filmgeschichte, insbesondere im Sci-Fi-Bereich, nicht viele vergleichbar bekannte und beliebte Designs.

musikalische Höhenflüge

Ein weiterer äußerst wichtiger Name für den Krieg der Sterne ist John Williams. Der oscaprämierte Komponist, der auch für Filme wie Der weiße Hai, Indiana Jones, Schindlers Liste, Catch Me If You Can oder Harry Potter die Filmmusiken schrieb, schuf nach Lucas‘ Vorstellungen einen klassischen Soundtrack, der zum Bekanntesten zählen dürfte, was jemals in Kinos zu hören war. Wenig an der Saga ist so unumstritten wie ihre musikalische Untermalung. Wunderschöne und einprägsame Stücke klassischer Musik wie das Force Theme oder der Imperial March mögen auf den ersten Blick nicht zu einem Weltraumabenteuer passen, illustrieren jedoch perfekt die zutiefst menschlichen Emotionen, die Star Wars im Kern ausmachen, und tragen entscheidend zum zeitlos universellen Charakter der Filme bei.

Farbenpracht

Das Gefühl, als Kind im Süßigkeitenladen zu stehen? Alles so schön bunt hier? Mancher verspürt das auch als Erwachsener, wenn er in den oft exotischen Bilderwelten des Kriegs der Sterne versinkt. Intellektuell etwas höher angesetzt, kann man auf die Vielfalt verweisen, die auch durch das Bunte dargestellt wird, und die das Star Wars-Universum zu einem unglaublichen Ort machen, an dem man immer etwas Neues entdecken und kindlich anmutender Neugier freien Lauf lassen kann. Eine Vielfalt, die als starke Botschaft verstanden Hoffnung spenden kann. Und einfach Spaß macht.

spaciger Realismus

Ein besonderes visuelles Merkmal insbesondere der Episoden IV bis VI war es, ein Universum dazustellen, das sich echt anfühlte. Echte Orte, Lebewesen, Maschinen und so weiter. Die Raumschiffe dreckig, die Kleidung vintage, alles hat eine Geschichte in Star Wars, alles ist glaubwürdig – vielleicht braucht es dazu nur manchmal einen Funken kindliche Begeisterung für das Phantastische. Zum Realismus dieses Phantastischen gehört die Detailverliebtheit nicht nur der optischen Gestaltung, sondern natürlich auch der erzählerischen. In Nebensätzen werden Ereignisse erwähnt, die vor langer Zeit stattfanden; Rituale werden angedeutet, ganze Kulturen vorgestellt. Es fällt leicht, sich in Gedanken durch dieses Universum zu bewegen, da es äußerst plastisch kreiert wurde.

eine Prise Humor

Klar, Humor wird ganz unterschiedlich wahrgenommen. Aber es reicht ja schon festzuhalten, dass viele Leute vieles witzig finden in den Filmen. C-3PO und seine Sicht auf die Welt, Han Solos Sprüche, Jar Jars Binks‘ Slapstick-Einlagen. Gut, letztere ziehen eher bei den kleinen Zuschauern. Aber warum sollten diese denn zu kurz kommen? Star Wars nimmt sich oft nicht zu ernst, bietet eine Reihe Insider-Gags und atmet vor allem in Episode IV von 1977 diesen unbeschwerten Abenteuer-Geist, zu dem auch eine gute Portion leichtfüßiger Humor gehört.

mit Botschaft

Auch Moral und Wertevorstellungen können von Person zu Person stark variieren. Star Wars entscheidet sich für eine Haltung. Und die kann man durchaus mögen: Luke Skywalker siegt im Finale der klassischen Trilogie über das Böse in Form von Imperator Palpatine, indem er Gewalt in letzter Konsequenz nicht anwendet. Er tötet seinen angeschlagenen, diabolischen Vater Darth Vader nicht, er greift Palpatine nicht mehr an. Stattdessen wirft er seine Waffe, das Lichtschwert, weg. Damit verweigert er sich den Bemühungen Palpatines, ihn auf die dunkle Seite zu ziehen, verweigert sich Hass und Aggression. Und bekehrt dadurch seinen Vater, der sich zum Preis seines Lebens vom Bann der dunklen Seite befreit und der Herrschaft des Imperators ein Ende macht.

In der chronologisch davor angesiedelten Trilogie geht es mehr um den Untergang der Demokratie beziehungsweise deren Umwandlung zum Terrorregime, womit George Lucas auch auf aktuelle Probleme hinweisen wollte. Die Warnung vor den Folgen von Handlungen, die aus Furcht, Wut und Hass resultieren, bezieht sich aber auch auf den Einzelnen. Der Fall Anakin Skywalkers, der zu Darth Vader wird, verläuft parallel zum Fall der Alten Republik, die zum Imperium wird.

Bedeutungsebenen

Über eine relativ einfach zu erfassende Botschaft (die zum Teil auch in den Filmen selbst formuliert wird) hinaus gibt es in Star Wars auf Metaebenen viel zu entdecken. Inhalte von verschiedenen Weltreligionen, politische Anspielungen, philosophische Konzepte. Handlung und Bildsprache sind oft komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das genauer auszuführen, würde hier jeden Rahmen sprengen. Daher muss der Hinweis genügen, dass es zahlreiche philosophische Texte zur Sternensaga gibt sowie natürlich viele weitere wissenschaftliche Arbeiten, die sich den verschiedenen Bedeutungsebenen in Star Wars annehmen. Schon die Audiokommentare auf den Heimversionen können erste Einblicke geben.

historischer Kontext

Wenn man darüber nachdenkt, weshalb der erste Star Wars-Film, der alles Weitere nach sich zog, so erfolgreich wurde, muss man auch die Zeit betrachten, in der er erschien. Amerika war vom Vietnamkrieg desillusioniert, was sich in pessimistischem Kino widerspiegelte. Da wirkte Star Wars wie ein Befreiungsschlag, der gleichzeitig von den Problemen weit, weit wegführte und durch seinen positiven Grundton Hoffnung und Freude gab. Auch wenn eigentlich alles den Bach runtergeht – manchmal will man einfach eine gute Zeit haben.

die Fans

Wer kann etwas gegen Menschen haben, die sich bekloppte Kostüme anziehen, Spielzeug sammeln, stundenlang leidenschaftlich debattieren und noch 1138 andere Formen finden, um ihre Liebe zu einer Geschichte auszudrücken? Die Star Wars-Fans kommen aus allen Erdteilen, sie sind jung, alt, reich, arm, alles dazwischen und vor allem zahlreich. Sie bauen Roboter nach, schreiben Fanfiction, drehen Kurzfilme, nähen Kostüme, betreiben Webseiten und üben sich im Lichtschwertkampf. Die Saga bietet ihnen ein breites Angebot, um selber kreativ zu werden. Wenig andere Franchises können da mithalten.

Zugegeben, das hat mit den Filmen nur mehr indirekt zu tun. Und wenn ich diesen Weg einschlage, müsste ich auch über die begleitenden Bücher, Comics, TV-Serien, die Spiele und das Spielzeug, die Modelle und so viel mehr schreiben. Aber das lasse ich lieber. Denn wer tatsächlich bis hierhin gelesen hat, ist wahrscheinlich sowieso Fan des Sternenkrieges und kennt das alles schon …

Ganz am Ende möchte ich aber doch noch einmal auf die Fans zurückkommen. Denn manchmal sagen Bilder eben wirklich mehr als tausend Worte. Wer sich immer noch nichts unter der vielzitierten Magie vorstellen kann, die die Liebhaber der Saga verspüren, der kann vielleicht eine Ahnung davon erhaschen, wenn er in die Gesichter begeisteter Fans guckt:

 

*Name von der Redaktion geändert